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[OBF-400226-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 25. Februar 1940

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Ein herrlicher Sonntag ist heute, mit soviel Sonnenschein und blauem Himmel. Ach Du! Nun wird bestimmt richtiger Frühling - wie ich mich freue, dieses Jahr - ich kann es kaum noch erwarten, bis ich wieder mit Dir hineinwandern kann in die schöne, blühende Welt. Du!, wie die Vögel heute schon zwitschern und große, weiße Wolken ziehen am Himmel lang. Ich habe eine lange Weile am Fenster gestanden und ihnen zugesehen.

Du! Liebster! Ich hab so große Sehnsucht nach Dir. Du mußt bald wieder zu mir kommen!

Sieh, wenn ich so allein hinauslaufe in den Wald, oder in's Freie und mich freuen sollte an der Natur, wie sie befreit aufatmet von der Last des vielen Schnee's, so muß ich immer nur an Dich denken, muß traurig sein weil Du mir fern bist, kann die Freude am Weg nicht stehen sehen; ohne Dich ist es nicht so hell das Freuen und das Wundern.

Wo Du jetzt sein magst?

Es geht auf vier Uhr. Ob Du heute den W.berg bezwungen hast? Ach Du! Könnte ich bei Dir sein. Wo Du jetzt bist, muß das Warten auf den Frühling so schön sein. Am Fluß, wo die Bäume zuerst sich begrünen - wo nun bald, bald wieder reges Leben sein wird. Und auf den Bergen, wo man dem Himmel so nahe ist - wo die Hänge beginnen saftig grün zu werden und wo die ersten Frühlingsblumenkinder sich hervorwagen.

Du! Liebster! Wenn es nun bald soweit ist, dann will ich einmal zu Dir kommen.

Ob man so sehnsüchtig und voll Freude im Herzen auf den Frühling wartet, wenn man liebt?

Nicht grübeln will ich, nicht nachdenken - will glauben an das Glück, das so wirklichkeitsnahe vor mir steht.

O Liebster, Herzallerliebster, Du!

Nie in meinem Leben war ich so namenlos glücklich wie jetzt, da ich Dein bin.

Unsere Uhr schlägt, 1/2 9 - Du? Wirst Du schon im Bett liegen? Es war heute so sonderbar, ich hatte den ganzen Tag eine Unrast in mir, ein Sehnen; zog es mich hinaus in's Freie? Ja und nein.

Ich fürchtete mich vor dem Alleinsein. Ich begann Deinen Brief - daß ich Dich liebe, daß ich glücklich bin, daß ich mich nach Dir sehne - dieses zu schreiben, ist mein Bedürfnis, es scheint mir das einzig Wichtigste. Meine Sehnsucht ließ sich heute nicht stillen mit dem Gedanken an das sonst so beseligend süße Gefühl der Hoffnung auf Dich und Dein kommen - meine Sehnsucht wurde quälend. Still sitzen mit einer Arbeit? Lesen, in unserem Buche, dessen Inhalt ich nur dann erst liebgewinne, wenn Du ihn mir gibst?

Du! O Du! Hinter allem, was ich heute anfaßte , standest Du - mit einer Eindringlichkeit wie selten schon, es machte mich so unruhig.

Daß etwas mit Dir geschehen ist? Diesen Gedanken will ich verwerfen - Du!, seit gestern abend muß ich [so] sehr Deiner denken - zu unserem Jahresessen - ich kam mir so allein und verlassen vor, Du mußt es ja gefühlt haben, wie mich's nach Dir verlangte. Du! Ich kann nirgends mehr sein ohne Dich.

Es ist so kalt und ohne Seele, bei den anderen. Etwas anderes sehen und hören können, damit die Gedanken einmal auf ganz andere Bahnen gelenkt werden, es schien mir der einzigste Ausweg - Du! So machte ich [m]ich nach 5 Uhr mit den Eltern auf, ein Kino zu besuchen. Selten kam es vor, daß Mutter mitkam, heute ließ sie sich bereden. ,Die Reise nach Tilsit' war in Augenschein genommen, jedoch alles überfüllt, im Apollo läuft der ‚Polenfeldzug', ebenfalls ausverkauft. Eines blieb übrig  ‚Rote Orchideen', ein Kriminalfilm. Ein Film, wie er zu Hunderten gezeigt wird, Hochverrat, Fälschungen; schöne Frauen sind im Spiele, umrahmen das Ganze. Für 2 Stunden werden die Gedanken abgelenkt, die Nerven in Spannung gehalten und dann? Dann steht man draußen im Dunkel, sieht über sich die Sterne, den endlosen Raum über sich und es nimmt einen wunder, wie ein vernünftiger Mensch hingehen kann, aus diesem flimmernden Hokuspokus sein inneres Gleichgewicht wieder zu erlangen. Viele werden, gleich mir sich dort eingefunden haben, sich zu zerstreuen, abzulenken, oder Vergessen zu suchen - ich fand nicht, was ich suchte. Aber auf dem Heimweg war ich dessen froh und dankbar gewiß: Mein Wesen lehnt es ab, sich mit leerem Schall zu betäuben und meine Sinne und mein Herz sind dem aufgeschlossen, das licht und klar ist wie die Sterne, das groß und mächtig ist wie das Himmelsgewölbe.

Ein Gang durch die stille Schönheit der Natur, aus der das Göttliche spricht, - bei Tag, bei Nacht, das ist ganz gleich - läßt uns immer unser seelisches Gleichgewicht wiederfinden.

Man sollte niemals dem Drang und dem menschlichen Wahn nachgehen, bei Geselligkeit und Vergnügen wahren Frieden zu suchen und zu finden.

Wahrer Frieden des Herzens muß von innen heraus geboren werden - sonst kann er nicht von Dauer sein - man muß empfänglich sein für die Allmacht des Göttlichen, muß sich losreißen können von den Nöten des Irdischen, um so, überwältigt und ergriffen von der Gnade Gottes seine eigene kleine Herzensnot ganz in den Hintergrund zu stellen.

So sind meine Gedanken, da ich von dem Gang zurücklehre. Liebster! Meine ungestüme Sehnsucht ist vergangen, sie ist einer tiefen, verklärten Freude gewichen. Und ich bin dem Herrgott dankbar, daß er mir den rechten Weg wies.

Still und rein ist's in mir, wie nach einem Gewitter - ich denke Deiner in großer, inniger Liebe, Du!

Froh will ich mich nun schlafen legen - mit frohem Sinn will ich auch die Tage sich aneinander reihen sehen, die Dich mir immer näher führen Du, Liebster!

Behüt Dich Gott! Schlaf wohl, Herzliebster!

Deine Hilde.

 

 

Herzallerliebster!

Wieder neigt sich ein Tag dem Ende zu, draußen zeigte er sich so prächtig wie gestern. Drinnen, im Raum wo ich mit den anderen sein muß, herrschte um des Sonnenschein willen frohe Laune und die geht schließlich auch auf den letzten Griesgram über, mag er sich noch so wild in die böse Arbeit verbissen haben. Ich gehöre [ü]brigens nicht zu dieser Sorte, Du!

Meine Gedanken gingen zu Dir, am Nachmittag besonders oft. Hoffentlich nützt Du auch das schöne Vorfrühlingswetter gut aus, wo Du jetzt keinen so strengen Dienst hast; wenn Du bissel zeitig aufstehst, Deine Arbeit am Vormittag verrichtest, kannst Du gleich nach Mittag schon spazieren gehen. Ach Du! Wenn Du wüßtest, wie mich dies Wetter hinaus lockt, wie ich unruhig werde, sobald ich daran denke, daß Du nun allein losziehen wirst.

Aber die heimliche Freude darauf, daß ich einmal dieser Fessel ledig sein werde - Liebster, so Gott will im Sommer schon — die schenkt mir immer wieder Geduld und neuen Mut. Die Zeit eilt ja so rasch dahin und glaub mir, ehe wir es recht fassen werden, dürfen wir für immer umeinander sein, mein Lieb!

Da sitze ich nun beim Lampenschein in unsrer Küche, die Mutter näht meine Wäsche - Du!, unsre Wäsche, für unsre Betten und ich denke daran, wie schön es sein wird, wenn ich Dich bei mir habe und umsorgen kann, Du! Heute, vor einem Jahre, empfing ich den ersten Brief von Dir im neuen Heim - Du schicktest Deinen Boten in's neue Kämmerlein. Warst voll Erwartung, wie Du es antreffen würdest, warst erfüllt von dem heimlichen Wunsch, mich darin zu finden. Und heute, ein Jahr später - Liebster! Herzallerliebster, Du! Beide haben wir erlebt, wie sich alles so wunderbar erfüllte - wir können nicht genug dankbar sein - Du hast mich gefunden, so ganz, in meinem Kämmerlein. Es war ein glückliches Jahr, das wir erlebten. So vieles in der Welt war um uns - gegen uns — aufwärt hob sich unser Blick, vorwärts schritt unser Fuß - immer deutlicher, immer gerader führte unser Schicksalsweg in die Zukunft; stark und mutig fanden wir uns bei unsrer Aufgabe, die unendliche Liebe und das große Vertrauen zueinander erleichterten sie uns, sie förderten und festigte unseren Bund; den höchsten Wert aber und den letzten und tiefsten Sinn unserer Verbundenheit fühlen und erkennen wir darin; in der Liebe und Güte Gottes, die uns allezeit begleitete, und die wir uns zu erhalten mühen wollen immer, solange wir leben.

Am letzten Beisammensein taten wir wieder einen Schritt mehr, weiter vorwärts zu unserm Ziel.

Damit trugen wir wieder ein wenig mehr Erstaunen und Verwundern unter die Leute.

Wir sind unsrer Liebe froh und gewiß, sind dadurch unempfänglich der Meinung und dem Gerede andrer. Es gibt Stunden und Tage, da ich kleingläubig werde, da ich mit Zagen an all das Bevorstehende denke, an das Leben an Deiner Seite, vor den anderen Menschen aus Deinem Kreisen. Es ist weniger Feigheit, Schwäche meiner Unfähigkeit, Zaghaftigkeit - mit Dir fürchte ich nichts - als Sorge aus Liebe zu Dir. Ich möchte Dir, der Du so lange einsam standest nur Liebes bereiten, alle Steine aus dem Wege räumen und zweifle doch manchmal an meiner Kraft, weil ich noch so jung bin.

Das Ansehen, die Wertschätzung, die Du Dir errangest, darf nicht durch mich herabgedrückt werden. Ich ertrüge es nicht. Nicht alle Menschen denken so gut und edel wie Du, Liebster! Den Glauben an mich finde ich wieder bei Dir, Du bist so gütig und lieb zu mir - Du machst es mir so leicht, das Einleben in Deine Welt. Und wenn ich sehe, wie Du mich liebst, so wie ich bin, dann wird mir so froh und leicht ums Herz - es soll mich ja keiner lieben als Du, ich will ja keinem das sein, was ich Dir bin.

Es wäre aber töricht und kurzsichtig, zu denken, auf dieser großen Welt könnten wir beide nur einander leben; das, was fehlt an mir, um Dir vor der Welt ebenbürtig zu sein, das glaube ich an Deiner Hand noch zu lernen und mir anzueignen, eben, weil ich noch so jung und darum biegsam bin und weil ich es nicht zuletzt aus Liebe zu Dir tun will.

Eines, was mir viel mehr noch am Herzen lag, war die Gewiβheit, daß Deine lieben Eltern mich würden lieben können, achten können und daß überhaupt uns[e]re lieben Eltern unseren Schritt würden gutheißen, uns ihre Güte und Hilfe nicht versagen würden.

Liebster, Du! Dessen dürfen wir doch nun ganz gewiβ sein, und ist eigentlich diese Gewiβheit und dieses Bewußtsein nicht so viel köstlicher als alles andere?

Heute, am Montag, schrieb deine liebe Mutter und übersandte mir die Heiratsurkunde. Unsere hab ich schon hingetragen, sie lag in Mittelfrohna bei Großmutter F.. Ach, am Dienstag hingen wir schon im Kasten, man sagte es mir früh im Geschäft. Am Mittwoch wußten sie es schon in der Singstunde, sogar Luise hielt mir vor, daß ich ihr nun davon nichts sagen würde! Die Musterung für den R.A.D. schreitet rüstig fort. Du!, ich bin froh, daß wir auf dem Standesamt waren, wie auf einer friedlichen Insel geborgen fühle ich mich, mitten im Strudel der aufgeregten Zeit. Unsere Mädels im Geschäft, die in meinem Alter sind ganz aus dem Häusel, sie sammeln schon Büchsen und sämtlichen Altwarenkram: „Wenn wir noch nicht eingezogen sind, Du sollst aber einen Polterabend erleben!"

Ach, Liebster, Du! Jetzt muß ich erst mal aufhören.

Hast Du wieder vollen Dienst? Darf ich Dich bald wieder bei mir haben? Du!? Die Eltern haben sich recht gefreut über Deinen lieben Brief, sie danken Dir und sagen auf frohes Wiedersehn!

Und nun mein Lieb? Behüt Dich Gott!

Herzallerliebster! Ich sehne mich nach Dir! Ich habe Dich so von ganzem Herzen lieb!

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946