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[OBF-400206-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am Fastnachtstag 1940.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Nun ist es schon der zweite Tag, daß Du fort bist. Ich war am Sonnabend und Sonntag so glücklich und froh und ruhig, weil Du bei mir warst. Ich weiß und ich fühle und erkenne es aus Deinem ganzen Wesen, wie lieb Du mich hast, und wie Du mir die Treue hältst. Du, Liebster! Kann ich das Dir jemals genug danken?

Ich hatte Angst vor den kommenden Tagen ohne Dich. Es war eine falsche Angst – ich habe ein gutes Gewissen – es war Angst vor dem Unbekannten, Ungewissen, daß meiner wartete; von dem ich nicht wußte, ob ein Schatten auf unser Glück fiel, durch die Unvorsichtigkeit meiner Freundin.

Dies überhaupt anzunehmen, oder mir zu erklären wie das wohl zugehen sollte, darauf kann ich mir selbst keine deutliche Antwort geben – ich weiß nur, daß ich meiner Freundin vieles zutraue, daß ich nicht mehr ihr vertrauen kann, seit diesem Fall. Dieser böse Klatsch – man sollte erhaben darüber sein – er lag mir immer obenauf und das Grübeln darüber, macht einen ganz krank.

Es war mir nicht lieb, daß ich Dir davon berichtete. Aber ich konnte es Dir nicht verheimlichen und mir ward freier, als ich mich Dir anvertraute.

Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Ganz treffend ist das Wort eben für diesen Fall nicht. Aber diese widrige Angelegenheit ließ uns die kommenden Tage nicht in einem freundlichen Lichte scheinen wie sonst; sie bedrückte mich, als es an den Abschied ging, Du! Daß ich so weinen mußte, es war nicht nur der Gedanke an das Alleinsein; Bitterkeit gegen Luise – daß ich ohnmächtig, diesem Gange ausgeliefert war – Traurigkeit auch, daß ich Dich damit belästigt hatte – ich konnte mir auch nicht die Seele frei reden, – ich kann auch sehr schwer Luise Vorwürfe machen, lieber verbeiße ich alles im Inner[e]n; ich kann sie nicht mit der Nase darauf drücken, wo sie selbst fühlen müßte, was ich ihr als Freundin war – meine Nerven waren überreizt, deshalb war ich so aufgelöst.

Daß Du in diesen Tagen bei mir warst, daß Du mir Deine große Liebe bewiesen hast und daß Du mich hinführtest zu dem, der immer Rat und Hilfe sche[nk]t einer irrenden Seele, das danke ich Dir von ganzem Herzen, Du mein lieber [Roland]!

Der Montag kam; als ich mittags vergebens nach einer Vorladung ausschaute, meinte ich schon, S.s hätten die Geschichte zurückgezogen. Ab Montag arbeiten wir bis abends 6 Uhr. Nachmittags brachte der Ratsbote meine Vorladung für 5 Uhr in der Polizeiwachstube.

Mutter übergab sie mir – 1/4 7 sprach ich vor. Ich fand den Komissar und Luise im Zimmer sitzend. Grüßte nur mit ‚Heil Hitler‘, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, Luise mit Handschlag zu begrüßen. Sie war ziemlich blaß – beobachtete mich unausgesetzt[,] ich begegnete ihren Blicken ruhig und kühl.

Ob ich bereits wüßte, in welcher Angelegenheit man mich herbat? Ich bejahte. Verhielt mich ganz reserviert. Der Komissar war sehr anständig, stellte eigentlich nur 3 Fragen. Ob ich zu jemanden von meiner Freundin sprach? Ob ich eine Person dieser Schreiberei verdächtigen könnte? Ob ich gewillt sei, meiner Freundin darin behilflich zu sein, diese Person ausfindig zu machen? Erste beiden Fragen verneinte ich, die dritte bejahte ich. Er gab Luise noch Verhaltungsmaßregeln; gab Anhaltspunkte, die auf einen Verdacht schließen könnten – er vermutet die Person in der Fabrik – Luise verneinte u. besteht ebenso wie ich darauf, daß sie niemanden verdächtigen könne. Wir waren entlassen, mit dem Bescheid, daß die Sache ruhen müsse, bis irgend etwas Neues geschieht oder wieder ein Brief ankommt. Luise berichtete mir draußen, daß sämtliche Postämter benachrichtigt seien: Oberfrohna, Limbach, Chemnitz; sie wollen den Schreiber durch Fingerabdrücke fangen, auch einen Detektiv wollen sie zu rate ziehen. Ich sagte, daß die Anschuldigungen doch auf Wahrheit beruhen; ihr Verlobter u. dessen Eltern würden sich ja auch nicht daran stoßen, was vor 2 oder 3 Jahren war – ihr Verhältnis bestünde ja erst richtig seit einem Jahr. Sie wollen nur derjenigen Person verbeten haben, daß sie sich in ihre Privatangelegenheiten mischt, die Jahre zurücklägen und anderen garnichts angingen. Ich sage garnichts aber auch garnichts mehr dazu–, ich weiß von nichts – gut damit. Mag nun werden, was will. Ich glaube kaum, daß etwas herauskommt. Dann das Neueste. Ich erfuhr im Geschäft, daß Luise vergangenen Freitag Befehl vom Arbeitsamt bekam, nach Schwerin in eine Fabrik! Ich sagte kein Wort zu ihr. Und sie redete am Montag darüber zu mir. Am Freitag geht der erste Transport ab, sie muß zurückgestellt werden bis zum nächsten, weil schon überfüllt sei. Sie weigert sich nicht, sie ist froh, daß sie mal von hier fortkommt! Ich weiß nun nicht mehr, was ich denken soll. In 14 Tagen und in 3 Wochen fahren die nächsten Transporte, kann also sein, daß ich sie dann schon nicht mehr wiedersehe. Ich bin nicht verzankt mit ihr, ich muß nur mein Verhalten ändern; denn als Freundin betrachte ich sie von nun an nicht mehr. Für ihr Ausbleiben am Sonntag fand sie ohne Befangenheit eine passende Ausrede. Sie bedankte sich bei mir, daß ich gekommen war.

Ich weiß nun nicht,  ob man mich noch einmal brauchen wird  –  hoffentlich nicht.  Kannst  Du mir nachfühlen,  daß ich aufatmete,  als ich den Gang  hinter mir  wußte? –

Ich habe nicht Bange, wenn der Befehl an mich herantritt, d[ie] Eltern werden mich nicht fortlassen, Du auch nicht und wenn dann das Heranziehen zum Bauern wieder beginnt – dem man sich nicht entziehen kann – dann mußt Du kommen, mußt mich zu Dir holen, oder mir Deinen Namen geben, Du! Wirst Du wollen? Du, Liebster! Ich weiß es ja, ich habe dein Herz, ich habe Dich ganz, Du wirst mich nie mehr verlassen, mein [Roland]! Ich danke Dir, auch im Namen der Eltern für Deine Liebe Karte, Du! Ja, ich weiß es noch, es war an einem Sommerabend, nach dem Konzert – so viel Wasser führte die Elbe. Es ist der Weg, da Du zu mir über das Loben sprachst. Weißt Du noch? Du, wenn doch erst Frühling wäre – heute regnet es so sehr – er ist gewiß schon auf dem Weg. Und nun denke ich nur noch an Dich und daran, wie glücklich Du mich machst mit Deiner Liebe. Ich möchte Dir so nahe sein, wie an den vergangenen beiden Tagen, denkst Du züruck [sic], Du! Behüt Dich Gott! Ich liebe Dich!

Immer Deine [Hilde].
 

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946