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[OBF-400107-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 7. Januar 1940

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Jetzt ist es nun gerade wieder so, wie vor acht Tagen. Alle Spuren vom Mittagstisch zu dreien sind beseitigt, das ist wohl ein alteingesessenes Übel, bei uns wird's nie vor 1 Uhr Essenszeit Sonntags; weil wir noch so schönes, warmes Wasser hatten, habe ich gleich noch meinen Kopf gewaschen - es hätte sogar noch mit für Deinen gereicht! Und nun ist es unterdessen schön warm in der Stube geworden, ich sitze in Ofennähe, damit das Haar bald trocknet, der Sonnenschein fällt durch's Fenster, er beleuchtet unseren Lampenschirm und tastet nach unseren Engeln, die auf der Kredenz stehen; ja und nun suchen meine Augen immer mehr im Zimmer umher nach dem, was noch vor einer Woche da war. Unser Christbaum. Ich habe ihn schon Tags darauf, als Du fort fuhrst abgeleert, er nadelte so stark und Vater hatte seinen Ärger, weil die Nadeln in sämtlichen Stuben umhergetragen wurden. Wir haben nun auch wieder mehr Platz. Am Sonnabendfrüh ging's los mit Geschenken wegpacken. Alles Geschirr fand im großen Reisekorb Platz, etliche Vasen und Schalen ebenfalls; die übrigen Geschenke verstauten wir auf meinem Schrank im Stübchen und nun ist auch im Buffet das Fach wieder frei für meine Wäsche. Ach, und nun schlägt die Uhr, unsere schöne Uhr, Du! Und jetzt ist mir nun auch klar, weshalb es doch nicht so sein kann, wie vor acht Tagen: Weil Du mir fehlst, Liebster!

3 Uhr schlug es. Nun hast Du auch daheim in Kamenz wieder Abschied nehmen müssen, und bei einem etwas herzlicher und für längere Zeit als gewöhnlich, ich war seit gestern schon mit meinen Gedanken fest bei Euch, hoffend, daß Hellmuth und Elfriede bei Euch weilen, um zum letzten Male vor seiner Einberufung in traulicher Runde zu sitzen, wie ehedem.

305 — ein Vogel ist dem elterlichen Neste entschlüpft und rollt nun mit der Bahn der Elbe zu. Könnte ich ihm auf raschen Schwingen entgegen eilen, könnte ich ihn schon erwarten im liebevoll zurechtgemachten anderen Neste. Ach Du! Will's Gott, so soll es bald so sein, Liebster! Müde von Deinen Fahrten, erfroren, brauchst Du dann nicht mehr zu ruhen und Dich zu wärmen am fremden Herde, dann kommst Du heim, Liebster und zu mir — daß Du Dich daheim fühlst, mein Roland, diese Gedanken und das Bewußtsein sollen mich immer erfüllen, auch schon jetzt, in allem, was ich tue für unser künftiges Heim. Ach Du! Wenn ich hier so sitze und um mich her die Möbelstücke betrachte, die mit uns gehen werden, dann ist's, als sei ich garnicht mehr die [Hilde], die sorglos daheim bei Muttern die Beine untern Tisch steckt und ihrem [Roland] schreibt. Dann komme ich mir so groß und erwachsen vor, als säße ich in meinen eigenen vier Wänden in eine Schreibarbeit vertieft und der Schlag der Uhr ließe mich hochfahren aus meinen Träumen, an meine Pflichten gemahnen: Gleich wird ,er‘ kommen, bist Du bereit, ihn zu empfangen?

Bei diesen Gedanken wird mir garnicht schwer, oder eng um's Herz, Du! Ich freue mich auf das Leben an Deiner Seite. Ich freue mich auf den Tag, da ich nicht mehr untergeordnet schaffen werde und freudlos an einer Sache, die mich kaum tiefer berührt. Ich sehne mich danach, gemeinsam mit Dir etwas zu leisten, was den ganzen Menschen erfordert und was dann am Ende ein Bild geben soll von unseren Fähigkeiten und von unserem Sein. Hingabe, Aufopferung, Pflichtbewußtsein, diese drei sind die obersten Richtlinien, so glaub ich, die ein Lebenswerk mit gestalten helfen.

Daß ich alles, mein Bestes dazu beitrage, dazu helfe mir Gott. Wir wollen uns zusammentun als ein festes, unzerstörbares Ganzes — in mir spüre ich viel gutes Wollen, doch um es zu entfalten, brauche ich Dich, Du, den Älteren, der mir so viel mehr sein kann als nur Geliebter. Was Du mir alles bist, Liebster! Davon geben Zeugnis die Tage und die Stunden die wir wieder gemeinsam verleben konnten. Ich habe Dich so sehr lieb und ich kann Dich nimmer lassen, Du!

Und ich weiß und fühlte, wie Du mich ebenso liebst. Diese Erkenntnis überstrahlt alles mit ihrem goldenen Lichte — auch, daß ich heute so einsam bin, Du! Ergänzen müssen wir uns einander im Leben, daran muß ich eben denken und mir scheint, als haben diese Gedanken ihren Ausgang davon: Ich kann nicht vergessen, wie ich Dich einmal maßlos lieben mußte. Was die Jugend bedenkenlos im Überschwang ihrer Gefühle hingibt, nimmt das reifere Alter beglückt — und auch hungrig — doch mit allen Sinnen.

Mein lieber [Roland]! Ich erkenne das Glückhafte zweier Menschen, die sich zusammenfinden darin, daß sie sich nicht verlieren und vergessen in einem, sondern, daß sie einen Ausgleich schaffen, der beiden gut und wertvoll ist. Dieser Ausgleich läßt sie nicht in Gefahr laufen, von der Leere enttäuscht zu werden. Es gibt dieses Beispiel nicht nur für die Liebe.

Ich weiß, daß Du mich viel zu lieb hast, um mir einen Fall, wie wir ihn erlebten sachlich, nüchtern klarzulegen, ich glaube aber, wir sind schon soweit aufeinander eingestimmt, daß ich Dich auch ohne eine sachliche Erklärung verstand, und ich hoffe, daß ich die rechten Worte fand, um mich Dir hindurch verständlich zu machen. So wollen wir es im Leben halten: Wo wir der Gefahr eines ‚Zuviel‘ oder auch eines ‚Zuwenig‘ gegenüberstehen, wollen wir einander ergänzen helfen im rechten Mom[en]t, ohne dabei einander weh zu tun.

Du, Liebster! Ich bin Dir so dankbar, daß Du auch an Deinem letzten Ferientage bei uns, Deine wenige Freizeit opfertest, um in den Besitz dieser Schriftstücke zu gelangen. Ahnst Du, welche Beruhigung das für mich ist? Nun kann kommen, was will, den letzten Trumpf werden wir ausspielen. Ja, Du! Ich kann auch schadenfroh sein.

Liebster! Du fragst Dich ein wenig zaghaft, ob auch die Eltern Freude hatten über deinen Besuch. Du! Das mußt Du doch nun wissen: Sie haben Dich ebenso lieb wie mich — wäre es anders, hätten sie mich ja Dir versagt — und Du mußt es doch auch fühlen, wenn sie es auch nicht so richtig ausdrücken können. Wenn Du nach Oberfrohna kommst, dann denke nicht: Ich fahre zu Besuch, sondern: Ich fahre heim.

Du bist nun auch unser lieber Junge!

Es ist für mich so schön zu sehen, wie die Eltern teilhaben an unserm Glück, wie sie ihr Leben mit einreihen in unsre Pläne. Und ich sehe, wie sie aufleben und wie sie gewisser und bestimmter schaffen, wenn ich sie manchmal sagen höre: Bis da und dahin, wenn [Roland] kommt...! Ach ja, Du! Ist es nicht schön in dem Bewußtsein zu bauen, zwei so liebe, helfende Elternpaare zur Seite? Wenn uns nun der Herrgott noch den Frieden schenken wollte, ich glaube, dann hätten wir so bald keinen Wunsch mehr.

Es erging in den vergangen Tagen an alle Volksgenossender Aufruf, Liebespakete zu spenden, unseren lieben Soldaten die innige Verbundenheit mit der inneren Front zu bezeugen. Auch wir machten ein kleines Päckchen fertig mit Tabak, Zigaretten, Äpfeln, Lichtern und einem Paket Streichhölzern. Auf dem Aufruf waren die vielerlei begehrtesten Artikel zu lesen. Ich schrieb auch ein paar liebe Zeilen an den unbekannten Soldaten im Namen der Eltern, aber ich habe den Absender auf dem Briefe [sic] stehen. Ich bekenne: [siehe Ausschnitt aus dem Brief.] die Neugier ist doch manchmal bei Frauen eine bemerkenswerte Schwäche, vielleicht erfahre ich mal den Namen des unbekannten Soldaten.

Es ist nun finster draußen geworden, ich habe verdunkelt, mein Geselle steht auf dem Tisch vor mir und leuchtet, es ist schöner so — wenn ich bei Dir bin in Gedanken, oder in Wirklichkeit, so soll er uns leuchten. Nach unseren beiden Sternen sah ich auch heute wieder, sie stehen jetzt immer da, wo wir sie zuerst sahen, im Hofe über uns. Wirst Du sie in Schmilka auch sehen?

Ich las erleichtert deine Nachricht, daß Mutter wohler ist, als wir dachten; wie es nun werden soll in betracht auf Elfriede, davon berichtest Du mir wohl noch näher. Wie nahmen denn beide Hellmuth's Umstellung auf? Wir haben nun am Wochenende die ganze Wohnung wieder umgestürzt, doch von deinen Marken keine Spur, sieh nur noch mal genau in deinen Briefschaften nach. Du Schlingel! Wer hing wieder schön am Haken, als ich heimkam?: Dein Schal! Auch nach Wolkenburg hast Du ihn verschmäht, da vergaß ich schon, Dich auszuschimpfen. Warte, wenn's mal recht kalt ist und Du verlangst ihn, dann werde ich ihn umbinden. Du, wenn Du heute bei mir wärst! Seit d[em] frühen Nachmittag bin ich allein, die Eltern sind bei der Mittelfrohnaer Großmutter zum Kaffee eingeladen. Ich habe mich entschuldigt meiner vielen Briefschulden halber. Die Eltern werden nun was sehen wollen, dabei schreibe ich immer noch Dir, Du!

Dazwischen hab ich auch schön Kaffee getrunken u. für Dich mit gegessen. Es ist fast ½ 7, Du bist nun wieder unterm Dache. Mein lieber, großer [Roland], Du! Wer wird Dich nun heute schön zudecken? Nun noch einen Sonntag warten und am nächsten, so Gott will, habe ich ihn wieder, meinen Herzallerliebsten, Du, ich sehne mich ja schon heute so sehr nach Dir! Bleib auch Du schön gesund! Behüt Dich Gott, segne er deine Arbeit! Ich drücke Dich ganz fest an mein Herz voll Dankbarkeit, Du mein geliebter [Roland]! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400107-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946