Bitte warten...

[OBF-391220-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 17. Dezember 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Zum ersten Male verlebte ich einen Sonntag hier in Schmilka. Gestern abend überfiel mich ganz plötzlich eine Müdigkeit. Binnen wenigen Minuten muß ich fest eingeschlafen sein, ich habe es gar nicht gemerkt. ¼ 4 Uhr morgens erwachte ich, aus seltsamen Träumen.

Zuletzt war Verlobungsfeier oder Hochzeit, in einer alten Kirche, 2 Pfarrer waren da, Onkel Erich war der eine, viele Verwandte sah ich, ich ging unbemerkt, noch gar nicht festlich hergerichtet, mitten durch die Menge, alle Vorbereitungen überprüfend, lange Reihen Stühle standen da. Zuletzt traf ich unsre Großmutter, und ging mit ihr und habe mich mit ihr unterhalten. Ihr Gesicht war das gewohnte, aber groß war sie, ging gerade und aufgerichtet, mit einem Talar bekleidet. Dich habe ich nicht gesehen. Du warst jedenfalls noch über den Vorbereitungen, Herzliebes. Lange habe ich dann wach gelegen, und immer wieder zog es meine Gedanken auf das Vergangene. Bei unseren süßen Stunden wollte ich verweilen, es gelang nicht. Erst gegen 9 Uhr habe ich mich erhoben, habe meine Morgentoilette sonntäglich behäbig in die Länge gezogen, sodaß ich um 11 Uhr glücklich bereit war zu einem Gang ins Schulhaus. Am Nachmittag um 3 Uhr war Gottesdienst in Schmilka. Im Winterhalbjahr sind allmonatlich Gottesdienste in der Schule gehalten worden. Der Schulraum darf dazu nicht mehr benutzt werden. So mußte das große Zimmer in der Helvetia als Gotteshaus dienen. Der Pfarrer ging mich an, die Musik zu übernehmen. Ich erklärte mich bereit. So ward es ein rechter Adventssonntag. Zum ersten Male zeigte sich die Sonne wieder unverhüllt nach langer Zeit. -10° zeigte das Thermometer heute früh, die niedrigste Temperatur seither. Genau vor einem Jahre hatten wir auch solch kalten Zipfel, Du! Wir beide unterwegs, noch obdachlos mit unsrer Liebe, unsrer Liebe auch noch unsicher und damit zurückhaltend. Nach meinem Plan wollten wir auch zurücklaufen. Ich rechnete, daß wir gegen Sonnenuntergang auf der M. sein könnten. Dort wollte ich Dir sagen: Wenn wir übers Jahr noch zusammen sind, wollen wir an demselben Orte uns Liebe und Treue versprechen.

Nun kam es doch nur wenig anders, Herzliebes. Denkst Du noch an den Weg zum Bahnhof, an die Bahnfahrt? Du! Anders kam es, besser und schöner, als wir hoffen konnten. Wie gut haben wir es nun, wie leicht! Unsre Liebe hat ein Heim. Fast ist es uns nun unverständlich, daß wir auf abenteuerlichen Fahrten das Weite suchten mit unsrer Liebe, so daß wir so vorsichtig waren und geheim taten. Und doch war es notwendig, jede der Stationen unsrer Freundschaft und Liebe. Nun ist ein Teil unsrer Hoffnungen Erfüllung, Herzallerliebste. Wir stehen am ersten Ziel — und sind nicht enttäuscht, und sind nicht satt und lustlos; das erste Ziel gibt den Blick frei auf neue, weitere Ziele, die wir nun gemeinsam ansteuern, Herzallerliebste Du! Und auch das Höchste, Beste ins Auge gefaßt, werden wir nie Langeweile haben und ohne Aufgaben sein, die Höchste wird uns bis zu unserem Ende in Anspruch nehmen. Herzliebes! Seit ich Dich habe und wieder beten kann, ist mir alles klarer, einfacher und deutlicher.

Ach Du! Ich möchte Dir nun recht bald wieder zeigen, wie lieb ich Dich habe, und möchte aus Deinen Augen lesen, wie lieb Du mich hast. Ich bin Deiner Liebe ganz froh und gewiß. Ich kann mir nicht denken, wie ich sie in dieser bösen Zeit entbehren könnte.

Nun ist es über den mancherlei Geschäften Dienstag geworden. Morgen will ich in die Ferien fahren. Mutter schrieb, daß Siegfried zu Hause weilt bis zum 21. Dezember. Ein eigenartiger Urlaub! So werden sich nun für dies Jahr die Schulpforten schließen. Daß wir die Weihnachtslieder nicht mehr singen dürfen, schmerzt mich doch und schmälert die Freude auf das Fest. Etliche Glückwunschkarten trudelten dieser Tage ein, Beweis dafür, daß Du meinen dicken Brief erhalten hast. Morgen rechne ich auf ein Briefchen von Dir. Ihr seid doch über dem Erörtern meines Vorschlages nicht etwa auseinandergeraten? Ich möchte den Weihnachtsfrieden damit keinesfalls stören. Dein Fahrplan ist richtig. Nur brauchst Du in Oberfrohna nicht so zeitig abzufahren.

Ja, Herzallerliebste, nun komm, komm zum ersten gemeinsamen Weihnachten! Mit Dir, meiner lieben Braut, soll ich nun in den Christbaum schauen dürfen, mit Dir durch diese geheiligten zukunftsträchtigen Tage gehen! Du! Wie froh und glücklich macht mich diese Hoffnung. So gern bin ich noch nie in die Weihnachtsferien gefahren.

Gotte behüte Dich!

Komm nun, Liebste, zu mir und hol mich zu Dir.

Ich warte, Du! Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern, melde meinen Besuch an und wünsche Ihnen ein recht frohes, gesegnetes Fest.

Herzallerliebste!

Heute Mittwoch erhielt ich Deinen lieben Brief. Ich freue mich mit Dir. Diesen Zusatz mache ich in K.. Eben bin ich hier gelandet, mit dem Zug, den auch Du nehmen willst. Dein Fahrplan ist gut und richtig. Nun gute Reise. Zu Hause treffe ich alles wohl und munter. Du bist natürlich herzlich willkommen. Sag mir Deiner lieben Mutter herzlichen Dank für ihre lieben, gütigen Zeilen.

Nun noch einmal alles Gute, glückliche Reise.

Dein [Roland].

Herzlichst grüßt der verfrühte Weihnachtsurlauber,

Siegfried.

 

 

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946