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[OBF-391215-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 15. Dezember 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Fast zwei Wochen bist Du mir (schon) wieder aus dem Auge, und bin ich Dir aus dem Auge. Was Wunder, wenn da die Amtsmiene wieder überhand nimmt, und wenn ich ein wenig länger dahinträumen muß, um mir Dein Wesen vorzuhalten? Manchmal kann ich mir vorstellen, es sei noch alles wie früher. Da sitze ich nun eben wieder auf einem anderen Nest, wer weiß, wie lange; eine mehr oder minder gleichgültige Person; ein treibendes Schifflein auf dem Ozean; nach des Dienstes Verdruß winkt ein Hafen, das Elternhaus — — — Aber so ist es ja gar nicht mehr, Herzliebes, Du! Wenn die Gedanken ledig sind ihrer Pflicht, dann fliegen sie jetzt zuerst an einen anderen lieben Ort. Ach Du! Hinter dem Bücherstoß und hinter den Geschäften liegt jetzt nicht mehr eine mit Sehnen erfüllte Leere, nein, da steht mir eine Tür offen zu einem warmen guten Herzen, und wenn nirgendwo sonst, dort finde ich Unterschlupf vor der Kälte, vor der Gleichgültigkeit, vor der Leere. Herzallerliebste, des wollen wir wieder recht froh werden, wenn wir das nächste Mal zusammen sind. Vor dem Schulschluß drängen sich die Geschäfte wieder beängstigend, und der heutige Sonnabend und der Sonntag sind damit voll besetzt. Ich möchte ja doch auch mit dem guten Gewissen in die Ferien fahren, nichts versäumt zu haben. So will ich heute in den Schränken der Schule mal ein wenig Ordnung schaffen. Es stürzt und liegt noch alles so bunt durcheinander, wie ich es übernommen habe. Der Sonntagsgruße wird deshalb auch etwas kurz ausfallen. Was ich vergesse, will ich Dir morgen in einer ruhigeren Stunde schreiben. Unsre letzten Briefe haben sich gekreuzt. Sei nur recht schön bedankt für Deinen lieben langen Brief. Was Du aus der Singstunde berichtest, hat mich amüsiert. Langeweile hast Du ja nun gerade auch nicht. Du, wenn unser Hauswesen wird einmal im Gedränge des Festtrubels stehen, eine Stündchen für uns beide muß auch am dicksten Tage abfallen!

Ich sehe eben die Liste unsrer Begegnungen durch. Haben wir bis zum Wiedersehen doch wieder brav drei Wochen aushalten müssen. In Kamenz bist Du zuletzt zum Geburtstag der Eltern gewesen. Und nun? — — Du, jetzt bist Du meine Braut, meine liebe Braut. Weißt Du denn eigentlich, was das bedeutet? Braut, mittelhochdeutsch brut heißt Neuvermählte, Bräutigam bedeutet eigentlich ‚Mann der Braut‘. Du, nun gehören wir ganz eng zusammen, niemand darf es uns wehren, niemand wird sich mehr darüber wundern, ja, jedermann erwartet nun von uns, daß wir eng zusammen sind, Du, Herzallerliebste, und die Eltern müssen jetzt schön artig pochen, wenn sie uns stören wollen. Du! Ach, sie haben es ja bisher schon getan. Und nun gebe Gott, daß wir uns bald froh uns gesund ganz nahe sein dürfen. Gott behüte Dich.

Verlebe mit Deinen lieben Eltern einen recht frohen Sonntag. Herzallerliebste! Du meine Freude, mein Sonnenschein, mein ganzes Erdenglück! Du meine liebe, liebe [Hilde]!

Ich liebe Dich!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946