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[OBF-391213-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 13. Dezember 1939.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Wenn ich diese Zeilen an Dich richte, versetze ich mich in Gedanken um ein Jahr zurück.

Zum ersten Male durfte ich damals meine Glückwünsche persönlich an Dich richten, obwohl ich doch schon so lange vorher um Deinen Namenstag wußte.

Ein unglückliches Geschick ließ damals meinen Blumengruß ins Ungewisse gehen.

Und zweimal vorher, als Du noch in Oberfrohna warst, konnte ich Deinen Geburtstag miterleben.

Wir haben noch heute in der Singstunde den schönen Brauch, dem Geburtstagskinde ein Ständchen zu bringen. Es war so eigenartig — ich war nur ein Glied der Kette, die sich Kantorei nannte, ich durfte Dir nur, wie alle andern, die Hand drücken und meine Glückwünsche aussprechen.

Und — ach, wie so gerne hätte ich mehr getan — mehr Liebes, Du — für Dich.

Man muß doch einem Menschen, den man liebt, immer und wo man nur kann Liebes und Gutes erweisen.

Du! heute will ich es Dir sagen:

Als Du 30 Jahre alt würdest, war ich fest entschlossen, Dir ganz besonders zu gratulieren, nicht nur im Beisein der anderen.

Ich habe damals mit mir gekämpft, habe geschwankt. Rote Rosen wollte ich Dir schicken, einen großen Strauß. Ich war auf dem Weg zum Gärtner — und ich fühle noch heute, wie rasend mir das Herz schlug, als ich an Deinem Hause vorbei ging; mit jedem Schritt hämmerte es eindringlicher: Was willst Du tun? Du bist ja nur ein Mädchen! Ich ward feige, mein fester Wille brach — ich ging beim Gärtner vorbei, ging zurück — voller innerlichen Zorn auf mich und meinen jämmerlichen Mut — voller Weh zugleich, daß ich mein Geschick nicht wenden konnte.

An einem Mittwoch war Dein Geburtstag.

Am nächsten Tage fehltest Du in der Singstunde. Du warst zum Konzert in Chemnitz.

Ich war so sehr traurig und enttäuscht darüber.

Ich mußte immer daran denken, daß Du doch noch fremd hier warst, allein, daß wohl niemand an Dein Wiegenfest denkt, außer den Deinen.

Ich war so einfältig — ich wollte Dir beim Glückwunsch ganz fest und warm die Hand drücken, und ich glaubte so sehr daran, daß Du aus meinen Augen dabei viel mehr lesen solltest, als nur meine guten Wünsche für Dich.

Es sollte nicht sein.

Ach, Du! Es war manchmal so selig-süß, das Bangen um Dich. Und oft war mir so traurig, verlassen zumute, als müßte ich alle Qual und Sehnsucht des Herzens hinaus weinen. Immer und immer wieder zog es mich mit allen Fasern meines Herzens zu Dir hin.

Warum nur?

Diese Frage werde ich mir wohl niemals bis ins Letzte beantworten können.

Du! Daß ich Dich so lieben muß!

Das ist ein großes Wunder.

Ein Jahr geht nun wieder zu Ende, ein unruhiges, stürmisches Jahr in jeder Beziehung, das kann man wohl sagen.

Wenn ich bedenke, wie so froh ich schon an Deinem letzten Geburtstage uns[e]rer Freundschaft war, dann bin ich heute voller unendlicher Dankbarkeit gegen Gott.

Zurückblickend auf die vergangene Zeit empfinden wir so deutlich, daß er immer mit uns war. Trotz mancher Schwierigkeiten knüpfte sich das Band unsrer Freundschaft immer enger.

Das fast inbrünstige Verlangen, das mein ganzes Sein erfüllte, seit ich Dich kenne:, Dein zu sein, Dir zu gehören mit allem, was ich habe, es erfüllte ich in diesem Jahre.

Barg es nicht tausendfältiges Glück in sich, nur für uns?

Du! Mein [Roland]! Seit Du mir sagtest: Ich liebe Dich! Kannte mein Glück keine Grenzen mehr.

Du! Herzallerliebster!

Denkst Du noch an unsere erste, gemeinsame Reise in's schöne Böhmerland?

Du! Zum ersten Male im Leben standen wir beide selig, berauscht, wie verzaubert vor dem Tor zum großen Liebesglück.

Ich wußte es ja schon damals, daß ich nimmer würde von Dir lassen können!

An einem Sonnabend im September war's — vor unserem Kirchweihfest und einen Tag nach Herbstanfang.

Du! O, Du! Weißt Du noch?

War es nicht, als wollte uns das Herz zerspringen vor Wonne; war es nicht, als müßten wir diesen seligsten der Augenblicke festhalten, für ewig? O Liebster! Herzallerliebster, Du!

Wenn wir alle die glückvollen Stunden wachrufen, die nie vergessenen, die uns aneinander ketten und die uns so deutlich beweisen, daß wir zusammengehören für alle Zeiten, daß nichts uns trennen kann, als einst der Tod.

Du! Dann müssen wir doch auch in der dunkelsten Stunde, die uns das Leben bereitet Mut und Kraft finden, uns an unsrer großen Liebe aufzurichten, auf's Neue Zuversicht und Vertrauen zu fassen, zu dem Allmächtigen, der unser beider unverrückbarer Grund bleiben wird, auf den wir bauen.

Wir haben in diesem Jahre den wichtigsten Schritt getan im Namen unserer beider lieben Eltern, wir legten unsere Hände ineinander für immer — das war an unserem Festtag ebenso ernst und wichtig gehandelt, wie bei einer Trauung.

Ein Versprechen voreinander muß uns ebenso wichtig und heilig sein, wie ein Versprechen vor Gesetz und Kirche.

Möge Gott weiterhin mit uns sein, daß unsere junge Saat, die wir mit unserem ehrlichen, besten Können, mit unserer ganzen Kraft auszustreuen bemüht sind reiche Frucht bringt, zu unserer lieben Eltern Freude und zu seinem Lob und Preis.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

An Deinem Namenstage nimm von mir aus vollstem Herzen kommend die innigsten Glück- und Segenswünsche! Möchte Dich der Herrgott fernerhin schirmen auf allen Deinen Wegen, möge er Dir Gesundheit schenken und immer frohen Mut, zu jeder Zeit. Möchte er Dir Deine Liebe zu mir ebenso fest und treu im Herzen erhalten, wie ich meine Liebe zu Dir immer bewahren will.

Herzallerliebster! Du bist mein ganzes Glück! Ich bin Dein — immer und ewig! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

 

 

 

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946