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[OBF-391210-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 2. Advent 1939.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Zwei so liebe Boten sind nun schon in meiner Hand, Du! Ich danke Dir.

Wie ein recht trüber Tag sich doch schwer auf's menschliche Gemüt legen kann. Das fühlt man erst deutlich, wenn die Sonne wieder scheint; die Sonne, die alles Trübe, Graue in den Schatten stellt, die Beherrscherin des Guten und Schönen, deren segenspendende Kraft auch die Menschenherzen erquickt, sie erlöst aus dumpfen, schwermütigem Brüten. Könnte sie uns nicht Vorbild sein? Es ist schwer, Menschliches Göttlichem gleich zu tun. Es ist aber schon ein beachtlicher Schritt auf dem Wege Freudenspender zu sein, wenn man das Verlangen und den Willen in sich trägt, Sonne und Glück dem anderen zu bringen; diese innere Erkenntnis will wie eine Blume gepflegt sein: mit viel Liebe und Geduld. Das Leben ist oft rauh, zumal in unsrer Zeit — da heißt es nur: Treu sein, tapfer sein, nicht verzagen.

Immer Sonne im Herzen behalten, wenn draußen noch so düstere Wolken sich ballen.

Du! Mein [Roland]! Wir sind ja jetzt zu zweien, nicht mehr allein — das Wachsen und Starkwerden am anderen ist so etwas Beseligendes. Ich habe es gefühlt in diesen Tagen und schon so oft. Du! Daß ich Dein bin!

Du hast mit Deinen Worten die letzten Schatten verscheucht. Ich bin wieder froh und getrost. Du hast ja so recht, Herzallerliebster!

Unser Weg hat einen Sinn vor Gott, das zu wissen, ist schon so reicher Trost. Ich glaube und vertraue mit Dir ganz auf Gott, daß sein Wille uns zum Guten gereicht. An Deiner Hand will ich nicht verzagen, und wir wollen, trotz allem, unserem Glauben treu bleiben.

Nun ist schon der zweite Advent herangekommen, eine Woche ist erst vergangen seit unserem Fest. Es scheint mir schon so lang her, daß Du bei mir warst. Meine Sehnsucht nach Dir wird immer größer, Du! Wie kühl ich das Ringlein fühle auf meinem Munde, aber es ist nicht kühl genug, um meine Sehnsucht auszulöschen.

Ich freue mich so sehr auf Weihnachten. Die Vorweihnachtszeit ist eine selige Zeit. Oder wird mir das diesmal so besonders deutlich bewußt, weil es nun meine Brautzeit ist? Du!

Seit Donnerstag ist draußen wieder alles in Weiß gehüllt. Wie ich solch einen Wintertag liebe, diese weihevolle Stille, dieser wundersame Frieden — zu denken, daß sich beides mit dem unruhigen Weltgetriebe vereinen könnte!

Ach Du! Mich hat die Freude auf Weihnachten so gepackt und ich möchte nun am liebsten alle Welt so froh wissen wie mich.

Liebster! Gestern mußte ich diesen Brief an Dich unterbrechen, es war Besuch gekommen. Ein den Eltern gut bekanntes Ehepaar aus der Nachbarschaft, beladen mit einem Geschenk für mich. Ja Du, das geht immer noch so fort!

Am Vormittag habe ich erst mit Mutter die Wäsche gespült und aufgehängt, Köchin gespielt, (Hauptrolle!) Karpfen blau gab es, Deine Spezialität. Und am Nachmittag beantwortete ich Elfriedes lieben Glückwunschbrief, den sie an uns beide richtete vergangenen Mittwoch. Du wirst ihn noch lesen. Sie bittet uns, daß wir ohne Genieren unsere Wünsche äußern, und fragt auch an, ob wir ein handgewebtes Kissen mögen. Weil mir das Deiner Mutter so gut gefiel, habe ich mit Freuden zugestimmt ohne erst Deine Wünsche zu erfahren. Wirst mir nun Schwierigkeiten machen Du!?

Sieh, Du darfst Dich doch auch mit darauf legen! Sie möchte auch erfahren, ob wir uns zum Feste sehen, bei ihr in Bischofswerda. Auf ein Weihnachten zu dritt freut sie sich, ihre Schwester Liselotte kommt. Nun werden wir wohl Elfriede und Helmut [sic] gar nicht antreffen in Kamenz? Ich teilte ihr mit, daß sie auf unseren Besuch in Bischofswerda nicht rechnen können, da ich doch nur auf die zwei Feiertage angewiesen bin. Wer weiß, ob Siegfried kommen kann, dann wären wir ja ganz allein. Heute habe ich mir überlegt, daß ich Siegfried eine kleine Freude machen will, als Entschädigung für die eingebüßte Verlobungsfeier. Ein Feldpostpaket soll er wenigstens haben, was ich aber hineinpacke ist mir noch rätselhaft, morgen will ich mal auf die Suche gehen. Bis zum 15. müssen alle Pakete aufgegeben sein.

Du! Am Sonnabend ½ 2 bin ich mit Mutter nach Chemnitz gefahren. Es schneite, was vom Himmel herunter konnte und diese Menschen! Aber es macht doch ungemein viel Spaß, vom Strom der drängenden und schubsenden Menschenmenge mit fortgetrieben zu werden; auf allen Gesichtern stand freudige Erwartung geschrieben, trotz der ekligen Punktgeschichte. Die Geschäfte, die Waren ohne Bezugscheine und Punkte feil boten, waren natürlich überlaufen. Na, Langeweile hatten die Verkäufer bestimmt in keinem Geschäft, man glaubt ja nicht, welche Menge Leute am Wochenende vom Lande in die Stadt fahren. Allein auf dem Wege zum Bahnhof trafen wir 3 Bauern, die mit einem Schaukelpferde beladen waren.

Den Weihnachtsmann suchten wir auf. Ja, es sah böse aus, dem Wunsche der Mutter (Du weißt schon) konnte er garnicht gerecht werden. Und der Limbacher Weihnachtsmann konnte es in dem Punkte gleich garnicht. Ich weiß nicht, was nun werden soll. In Limbach wartet man jeden Tag auf die Sendung, halt nur Du auch die Daumen mit fest, daß etwas für uns dabei ist! Beim Geburtstagsmann sah es schon besser aus. Das macht auch, weil ich mich schon lange vorher danach umgesehen hatte, wo der richtige wohnt. Viele schöne Sachen zeigte er mir, Du! Und mir fiel die Wahl ziemlich schwer. Mal sehen, ob in diesem Jahre die Post Pakete an Geburtstagskinder richtig befördert!! Dann kannst Du urteilen, ob ich bei meiner Wahl Deinen Geschmack traf. Es ist rechteckig, (liebst Du diese Form?) oben befindet sich eine Öffnung da hinein sind zweierlei wichtige und praktische Sachen gesteckt. Auf der Oberseite ist noch ein langes, schmales Etwas angebracht, ich kann Dir's garnicht recht beschreiben, nur, daß es rot und verschnörkelt aussieht. Nun aber Schluß — am Ende bekommst Du das Geheimnis gar noch heraus!!

Für Deine liebe Mutter haben wir eine Vase erstanden, aus Porzellan, mit Streublumenmuster eine Form, die mir gut gefiel. Mutter möchte dieselbe haben. Hoffentlich gefällt sie Euch auch. Und einen Fang haben wir gemacht: Ich kaufte mir bei Salamander ein Paar Schuhe; am Freitag erhielt ich meinen Bezugschein. Nachmittags genau ½ 5 schlußte [sic] es mich so heftig, um diese Zeit bist Du wohl in Dresden herumgestromert? Wie ging es denn zu Hause? Hatte Mutter die große Wäsche zu Rande, sind alle gesund? Ich denke, daß wir in den nächsten Tagen etwas von ihnen hören werden.

Heute wirst Du nun die Grüße von unserm Lichtl-Abend erhalten haben. Frl. S. erinnerte mi[ch] erst daran (wie beschämend!) Ich ließ sie auch gleich zuerst unterschreiben, damit sie sich beruhigte. Du hättest bloß mal die Empörung sehen sollen, weil meine Grüße so kurz und sachlich gehalten wären, garnicht wie die Zeilen einer Braut!

Ach, hab ich mich schon köstlich amüsiert über die Neugier vieler ‚Damen‘. Du kennst ja meine Parole: Wer dumm fragt, erhält eine dumme Antwort; die, nebenbei bemerkt, absolut nicht beleidigend sein muß. Vorigen Donnerstag ging ich wie immer zur Singstunde, viele waren schon da, ich tat ganz gleichmütig, begrüßte sie, setzte mich auf meinen Platz und zog Luise, die neben mir sitzt in ein Gespräch. Keiner merkte was, keiner wußte schon was! Es machte mir so viel Spaß. Dann aber, Du weißt ja, wie Luise ist, konnte sie nicht mehr an sich halten und fragte laut in die nächstsitzende Runde hinein: Na, habt ihr denn unsrer Braut immer noch nicht gratuliert? Auf ihr Fragen wies sie auf mich, überall ungläubiges Kopfschütteln und ich bestärkte sie noch darin. Bis sie meine Hand mit Gewalt heraufzogen. Für Frl. S. und W.s wars natürlich unfaßbar, daß sie es erst an dem Tage erfuhren. Das ganze Drum und Dran kannst Du Dir wohl vorstellen. Herr G. hielt eine Ansprache, die ich aber vor Verwirrung und Aufregung garnicht in mich aufnehmen konnte. Erst als der Sängerspruch verklungen und alle Glückwünsche vorübergerauscht waren, kam ich wieder zu mir.

Dora P. drückte mir die Hand und wünschte alles Gute. Das hat mich froh gemacht. Ich hatte das Gefühl, daß ihr Glückwunsch außer den Jüngeren und den Männern wohl der aufrichtigste war. Dem nachzusinnen ist wohl auch töricht von mir, allen denen, die mir nicht besonders nahe stehen, ist es wohl mehr eine Formsache, mir zu gratulieren. Herr S. und Herr G. meinten, Du sollest nur in den Ferien mal mitkommen, ihr hättet euch doch immer gut vertragen. Herr W. und Frl. S. machten mir ein Geschenk.

Im Geschäft war natürlich auch großes Trara, sie kamen alle gestürzt, um zu gratulieren. Die Fopperei blieb auch nicht aus dabei, einem guten Witz gehe ich nicht aus dem Wege, Dreistigkeit quittiere ich einfach mit Nichtachtung. Du, es ist zu lustig, meinem Chef geht es gerade wie Deiner Großmutter. Wenn er so um mich herum geht, mich von der Seite mustert und sich nicht traut mich anzusprechen, Du! Dann muß ich mich zusammenreißen, um nicht vor Lachen herauszuplatzen. Vorigen Montag, als Deine lieben Eltern mit dem Mittagszuge heimfuhren, saß er mit im gleichen Wagen. Ach ja, ich bin froh, daß nun der größte Trubel vorbei ist, man kommt ganz aus der Ordnung. Jeden Abend fast kam Besuch und ich wollte d[och] so gerne einmal ausschlafen!

Sonntag in acht Tagen ist nun schon Heiliger Abend — dann noch einmal schlafen und dann? Du! O Du! Wie ich mich nach Dir sehne, Herzallerliebster! Ich habe mir schon eine Verbindung ausgesucht nach Kamenz, wo ich nicht umsteigen muß, so alles planmäßig verläuft! Vergleiche doch bitte einmal und gib mir Bescheid obs so stimmt. Mutter will mitfahren zu ihrer Schwester nach Chemnitz, sie vertreibt mir ein bissel die Wartezeit.

Nun warte ich auf Deine ‚Anzeigen‘ damit ich mich mit unterzeichne! 3 Briefe müssen in 4 Tagen unterwegs sein. Und noch eine schwierige Arbeit hat mir der Weihnachtsmann aufgetragen! Wäsche legen, plätten, Gardinen aufmachen, baden mir wird ganz schwindlig. Nur noch knapp 14 Tage! Ach, alles will ich tun, Liebster! Herzallerliebster! Wenn ich nur dann zum Lohne  dafür bei Dir sein kann. Gott behüte Dich mir. Du! Mein lieber, lieber [Roland]! Ich küsse Dich!

Ich liebe Dich! Ich bin ganz Deine

[Hilde].

Herzl. Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946