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[OBF-391129-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 28. November 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Nun trennen uns nur noch wenig Stunden von unserem Festtag, Herzliebes! So wie wir zueinander stehen, ergab sich dieses Ereignis eigentlich wie von selbst, es schien uns nur noch eine Formalität, einige Wochen früher oder später, das schien ohne Bedeutung. Nun, da ich Deinen Eltern geschrieben habe und sie um Deine Hand bitte, erscheint mir dieser Tag wichtiger, und es ist mir richtig feierlich zumute geworden. Herzliebes, ich habe mich Dir schon versprochen. Aber nun habe ich mich Dir auch verschrieben, ganz, für immer, Du! Die Tür ist ins Schloß gefallen. Wir sind gefangen. Mein bist Du nun, und ich will nur Dir gehören. Eigentlich ist dieser Verlobungstag wichter [sic] als der Hochzeitstag. Es ist ein Versprechen so bedeutsam und gültig und bindend wie das andere. Herzallerliebste! Ohne Herzklopfen habe ich den Brief zum Zug gebracht, ohne Zögern habe ich ihn aus der Hand gegeben und in den Kasten fallen lassen. Du! Weil ich Dich liebe und weiß, daß Du mich wieder liebst. Es ist mir nicht bange vor unserem Schritt. Was Gott uns schickt und vorbehält, wir wissen es nicht. Aber wir vertrauen ihm und sind gewillt, es miteinander zu tragen. Die Liebe wird uns Kraft geben dazu auch in schweren Tagen. Liebste! Wie reich und schön erfüllt sich nun, worauf wir hofften und worum wir bangten. Ich habe Dich lieb gewonnen und habe mir Dich erwählt.

Mit Dir und durch Dich erlebe ich das Glück der Liebe zum ersten Male. (Wir) Ich erlebe es als sinnliche Lust; als Freude an weiblicher Schönheit und weiblichem Wesen; als Geborgenheit, Zuflucht und Heimat meiner Gedanken und Sehnsüchte und Strebungen; als ordnenden, richtunggebenden Mittelpunkt; als eine liebe, köstliche Pflicht, für eine liebe Person einzutreten, zu sorgen und zu schaffen; und in dem unbeschreiblich beseligenden Gefühl, geliebt zu werden, und engsten Vertrautseins. Und noch reicher wird sich diese Blume entfalten, wenn wir sie recht pflegen. Wir werden erleben, wie sie uns auch erzieht zu Rücksicht und Geduld. Jetzt ist sie uns viel mehr eine beglückende Neigung, der wir sorglos nachgeben. Dann wird sie sich weiten zu gemeinsamer Pflicht. Herzliebes, mein Leben ist so viel reicher geworden durch Dich. Freude und Sonnenschein, Ordnung und Richtung hast Du gebracht. Eine liebe Hand darf ich in der meinen halten, aus einem Augenpaar darf ich lesen, daß jemand mich liebhat. Arm, unwichtig und gleichgültig war mein Leben vorher. Ich habe ja manchmal gedacht, es könnt[e] mich überhaupt niemand liebhaben und liebgewinnen. Mit den Jahren war ich jeder Liebe entwöhnt, die Sehnsucht danach wurde seltener. Sie wurde nur wieder laut, wenn der Schmerz eines Abschiedes oder einer neuen Fremde mich meine Einsamkeit deutlicher empfinden ließ. In solchem Schmerz traf mich Dein Ruf. Zwei wunde Herzen trafen sich. Herzallerliebste! Dieser Anfang war so selten. Er soll uns ein köstliches Geheimnis bleiben. Andere würden ihn vielleicht unwichtig finden und könnten darüber spötteln. Ich bin ja so glücklich, Herzliebes, daß Du mit mir alles erlebst, wie Kinder erleben, ehrlich, dankbar, wundergläubig, kindlich, wenn wir uns das bewahren könnten! Wie ich Dich liebe, Du, so wie Du bist! Ich bin so glücklich und ganz zufrieden. Du hast gesagt, daß Du es auch bist. Ich glaube es Dir. Aber nun ist mir, als müßte ich selbst noch einmal nachsehen, ob das möglich ist. Und nun betrachte ich mich und sehe an mir herunter, ob ich Deiner auch würdig bin. Ich weiß ja nicht, was euch Frauen an den Männern gefällt. Das Ideal wandelt sich auch. In Romanen spielen Männer, sieggewohnte Herzenbrecher; Helden der Gesellschaft mit scharfem Geist und funkelndem Witz, immer schlagfertig; wir kennen beide Helmhold, den der erfolgreichen Freibeuter, überragend und glücklich in seinem Beruf; meist sind sie stark und kühn, haben ihr Leben jeden Augenblick (ihr Leben) fest in der Hand, sind erfolgreich, in allen Sätteln gerecht, können so und können auch anders. So ist es im Roman. Das Leben ist anders. Wir dürfen uns nur umsehen im Kreise unsrer Bekannten. Und ich bin nun eben der [Roland]. Du hast ihn ein wenig kennengelernt, und wirst ihn noch besser kennen lernen. Ich gab Dir dazu manchen Hinweis. Wie ich mich so betrachte, fällt mir eben noch einer ein, den ich Dir nicht vorenthalten möchte. Es steckt in uns und auch in mir ein gut [sic] Stück bäuerlicher Sinn, der sich äußert in einem gewissen Herrensein und in Zurückhaltung gegenüber dem Weltgetriebe, bis zur Ablehnung und zum Trotz können sie sich versteifen. Dort wo alle rennen, rennen wir nicht mit. Jemandem nachlaufen, sich aufdrängen, kriechen, das kennen wir nicht. Nach kleinem, falschem Ruhen steht nicht mein Sinn. Meine Kraft kann ich nur an eine Sache wenden, die ich für gut und wert erkannt habe. Auf einen Erfolg, auf ein hohes Amt, das ich mit meiner persönlichen Freiheit bezahlen muß, verzichte ich. Dort, wo es ankam, war auch ich erfolgreich in meiner Laufbahn. Ich hätte es gewiß weitergebracht und wäre in eine Stellung gelangt, in der ich ohne Buhlen um eine Gunst frei wie jetzt größeres Ansehen und besseren Erfolg gehabt hätte. Es blieb mir versagt. Ich bin nun Schulmeister, einer unter vieltausend. Auf meinem Arbeitsfeld gibt es kein Ruhen zu erjagen, da ist nur stille, zähe Arbeit. Die vorgesetzte Behörde behandelt uns als Nummern, um Erfolg oder Mißerfolg einer Tätigkeit kann sie sich nicht kü[m]mern, sie springt wenig freundlich mit uns um, entlohnt diese Arbeit schlecht. Das alles bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Arbeits- und Einsatzfreudigkeit. Man tut seine Pflicht. Liebe und Freiwilligkeit wenden sich einer Liebhaberei zu, Du weißt, Liebes. Ich habe das alles schon manchmal recht niederdrückend empfunden. Aber mit Dir gemeinsam wird mein Blick auf Hohes gerichtet bleiben. Du wirst das Voranstehende bestätigt finden, wenn Du Dir einige Vorkommnisse ins Gedächtnis zurückrufst. In Zukunft wirst D[u] in mir also auch den Bauer sehen müssen. Umso mehr bin ich froh, daß ich nun alle freie Kraft einem lieben Menschen widmen darf. Und das wirst Du mir glauben: ein hartes Muß oder eine Sache, die mir besonders wert erscheint, kann es nur sein, die mich bewegt, von dieser freien Kraft etwas abzutreten. Was andere von mir halten und denken, wird mich mehr oder weniger gleichgültig lassen, aber Dir, Herzallerliebste, möchte ich mich wert erweisen, Dich möchte ich beglücken und zufriedenstellen, Du, meine liebe [Hilde]!

Liebe [Hilde]! Wir hatten daran gedacht, das Tischchen aus Chemnitz mitzunehmen. Soll es dabei bleiben? 1601 Uhr will ich in Chemnitz ankommen. Wir könnten uns bei dieser Gelegenheit noch einmal nach einer Tischuhr umsehen. Das überleg Dir also bitte. Deiner lieben Mutter richte bitte aus: Hammel gibt es nicht in Schmilka. Ich werde dafür ein Stück Schweinernes, doch mindestens ein Pfund, mitbringen können.

Herzliebes! Advent wird wieder sein kommenden Sonntag. Frohe Zeit bricht dann wieder an, und der Sonntag selbst schon wird angestrahlt vom Schimmer der Weihnacht. Einen schönen Tag haben wir gewählt. Er hat für uns auch eine besondere innere Beziehung. Einen Kranz hast Du mir geschenkt zum vorigen Advent. 3 Lichter steckten darauf, 2 von Dir, Glaube und Liebe, eines von mir, Hoffnung. Ehe ich damals auspackte, las ich Deine Zeilen. Beim Auspacken habe ich dann nur nach drei Lichtern gesucht. Du hattest vier beigegeben. Das vierte habe ich zufällig nach Weihnachten einmal gefunden. „Gebe Gott, daß ich im nächsten Jahr das vierte Licht daraufstecken kann.“ Nun will ich es Dir bringen, Herzallerliebste, wie es heißen soll? Du! Das will ich Dir selbst sagen.

Was ich für Dich empfinde, ich mag nun nicht mehr davon schreiben, es wird erst recht wach, wenn ich bei Dir bin, Du, meine liebe [Hilde]. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem mir Dein liebes Wesen wird immer gegenwärtig sein. Nun wollen wir Gott bitten, er möge unseren Bund segnen und über unser Glück gnädig seine schützende Hand breiten. Gott erhalte Dich mir froh und gesund. Herzallerliebste! Du mein Sonnenschein und Glück, wie könnte ich Dich nicht lieben und Dir untreu werden? Ich liebe Dich, und will Dich lieben immerdar und Dir die Treue halten!

Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! Du meine liebe, liebe [Hilde]!

Dein [Roland].


Herzallerliebste!
Heute Mittwoch erhielt ich Eure Briefe.
Sage Deinen lieben Eltern herzlichen Dank.
Und nun sei auch Du bedankt.
Richtig angesteckt hast Du mich mit Deiner Freude. Ich beneide Euch ein wenig um den frohen Drasch. Mit dieser Post gehen die Einladungen an die Brüder ab.
So, nun möchte ich Dir im Vorübergehen ein Schürzenbändel aufziehen und mal durch den Kehricht laufen.
Bleibt alle froh und gesund und seid herzlich gegrüßt von Eurem [Roland].

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946