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[OBF-391122-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 22. November 1939.
Am Montag.

Herzallerliebster, mein lieber, lieber [Roland]!

Ich liege nun schon in meinem Bett — in unserm Bett, Du! Es schlägt gerade 8 vom Kirchturm. Wirst Du auch schon zur Ruhe gegangen sein? Ob Du auch wohlbehalten heim gekommen bist? Wenn das Licht so hell scheint, dann bin ich ganz ruhig — aber im Dunkeln, Du!

O, wie so nahe sind mir da die seligen Stunden, und die Sehnsucht nach Dir wird so mächtig, Du! Ich muß meinen Kopf und mein Gesicht ganz tief in die Kissen drücken, um recht viel Wärme zu spüren; dann umfängt mich auch ein Gefühl des Geborgenseins — dann spüre ich wenigstens nicht die Kälte im Zimmer, die das Alleinsein um so deutlicher fühlbar macht.

Du! Ich hab Dich so sehr lieb!

Und ich bin so froh und glücklich, weil ich weiß, daß Du ganz mein bist, Du!

Unser Beisammensein verlief wieder so froh und schön — wir verstanden uns wieder so gut — wir wurden unsrer Liebe zueinander wieder so deutlich bewußt, und weil wir beide ganz im Innern fühlen, daß unser Beschützer droben über unserm Bunde wacht, — daß sein Wille an uns geschieht — sieh, darum Liebster, können wir auch so recht von Herzen glücklich sein.

Ich konnte auch beim Abschied nicht traurig sein, Du!

Ich weiß es ja, daß Dein Herz bei mir ist, immer, auch wenn ich Dich nicht um mich habe — und diese Gewißheit gibt mir so viel Kraft, die kurze Trennung zu ertragen — wenn es sein müßte, auch für längere Zeit — in 12 Tagen, so Gott will, Du! Dann hab ich Dich doch schon wieder!

Liebster! Heute früh konnte ich kaum fassen, was sich meinen Augen bot. Als ich zum Fenster hinaussah, Du! Soweit ich blicken konnte, nichts als Schnee und lauter Schnee! Du! War das ein herrliches Bild, so viel auf einmal, man mußte bis zu den Knöcheln darin waten. Der Schnee hält sich, heute abend friert es draußen; wenn jemand unten am Hause vorbei geht, höre ich, wie's knirscht. Den ganzen Tag schon bin ich über dies Ereignis geradezu von einer kindlichen Freude erfüllt. Du, wenn in 14 Tagen noch Schnee liegt, dann wird rechte Advents- und Weihnachtsstimmung sein.

Ich war heute recht müde um die Nachmittagszeit — ich mußte denken, daß Du da vielleicht schläfst — gewiß nur, weil so stark geheizt war im Raum. Du! Jetzt sind meine Hände eiskalt, und meine Augenlider werden so seltsam schwer.

Ich will nun schlafen Liebster!

Behüt Dich Gott!

Herzliebster! Ich halte Dich ganz fest, ich küsse Dich, gut Nacht, Du!

Deine [Hilde].


Am Mittwoch.

Herzallerliebster!

Gestern ging es stark auf Mitternacht, als ich schlafen ging. Luise war bei mir, wir hielten zu dritt einen gemütlichen Handarbeitsabend, Mutter war die dritte — und über der Plauderei und dem fleißigen Arbeiten, vergaßen wir die Zeit. Heute will ich nun die Zeilen für Dich fertig schreiben, damit Du nicht so lange auf ein Zeichen von mir warten mußt. Am Nachmittag war wieder das seltsame Gefühl in meiner Hand, daß noch nie trügte, wenn Du mir schreibst! Morgen wird sich's erweisen, da kann ich nun nicht schnell mal heim rennen; denn es liegt der Schnee noch und bitterkalt ist's draußen und zum Anziehen benötige ich zuviel Zeit, es wird mir bissel schwer fallen, das Warten!

Luise meinte, mein Fehlen sei am Sonntag nicht sehr aufgefallen; sie selbst ist auch eher wieder gegangen, weil ihr das Spiel sehr mißfallen habe, Schulkinder führten es auf. Nun bereue ich beinahe, daß ich fehlte, um mir nicht selbst ein Urteil bilden zu können.

Nun eine Überraschung! Gewiß auch für Dich. Gestern erhielt ich einen recht lieben Brief von Ilse D. aus Hohenbocka. Ich soll Dich recht herzlich von ihr und ihrem Manne grüßen.

Großes Interesse zeigt sie daran, wo Du nun eigentlich steckst, was der Heeresdienst macht, ob w[ir] uns schon verlobt hätten, oder gar gleich Kriegstrauung machen! Ausführlichen Bericht gibt sie mir über ihren kleinen ‚Schlumpf‘ — so nennt sie ihn — das ist ihre größte Freude; denn er gedeiht prächtig. Am Erntedankfest war die Taufe. Er sei im übrigen sehr brav und artig, und sie könne sich garnicht denken, von wem er das habe — dahinter steht ein dickes Ausrufezeichen!

Ihr Mann ist noch nicht eingezogen und wird es wohl auch nicht werden. Er ist am 1. Oktober zum Schulleiter befördert worden. Sie war am Sonntag, da sie meinen Brief schrieb, auch wieder allein zu Haus, ihr Mann weilte in Spreefurt, dienstlich, als Kreisredner! Er habe überhaupt derart viel Arbeit im Dienst, Partei, Gemeinde u.s.w..  Ein gewisser Stolz schwingt in diesen Zeilen, doch zugleich auch eine leise Wehmut, Entsagung.  So wie ich Ilse kenne, wird sie dieses Leben ein gut Teil Überwindung kosten — sie ist es anders gewöhnt.  Doch nun ist sie ja Mutter, sie muß leben und froh sein für ihr Kind.  Aber nicht jede Natur ist geschaffen für ein Leben in engem Kreise, und dazu ist sie nun dort, man könnte sagen, verurteilt.  Auf dem Lande, außer der Schwiegermutter keine alten Freunde und Bekannte.

Es ist eine alte Tatsache, je höher man im Beruf, oder irgend sonst die Rangstufen empor klimmt, umso mehr und umso fester binden die Pflichten, hält einen die Verantwortung.

In uns[e]rer Zeit, wo doch fast jeder Mann auf irgend eine Art, sei es nun freiwillig, oder pflichtgemäß dem Vaterlande dienen muß, haben die Frauen und Mütter keine geringen Aufgaben.

Die Frauen, die dem Lebensgefährten mehr Weib als Kamerad sein wollen, kostet es einen guten Teil Idealismus und Großherzigkeit, um nicht das häusliche Glück im Strudel des Weltgeschehens, zerschellen und versinken zu lassen.

Doch man darf auch nicht gar so schwarz sehen; die Brücke, die feste, sichere Brücke über alle Abgründe und Unebenheiten des Lebens, sie ist gestützt von drei Grundpfeilern: Verstehen, Vertrauen und Liebe; sie wird zwei Menschen, die zusammengehören, immer wieder zueinander führen. Und wenn das Schicksal einmal noch so rauh zupackt, wenn man glaubt, Menschenhand sei außerstande das Böse, Schlimme abzuwenden, wenn man meint, es sei zu schwer, daß es ein Menschenherz tragen könne; so sind wir doch noch nicht am Ende, es gibt dann noch eines, das alles Leid der Welt wandelt in stilles Dulden, etwas, das uns Zuflucht und Halt ist jederzeit. Liebster! Wir wissen beide darum.

Und wohl denen, die in Not und Verwirrung den Weg dahin finden können.

Der Weg der Ilse W.? Diese beiden Menschen haben sich gefunden, zusammengetan; gewiß verbindet sie Liebe und gemeinsames Interesse, auch an seinem parteiamtlichen Nebenberufe, der zwar ehrenvoll ist, dafür aber auch oft große Opfer verlangt. Was ich aus Ilse’s Brief herausfühle? Du weißt es nun. Aber das bedeutet für mich kein Zögern, Zurückweichen oder Wanken in unseren Zukunftsplänen. Froh, freudig und glücklich will ich weiterbauen mit Dir an unserm Werk, das wir beide ganz eigens in die große Welt stellen und auch darin erhalten wollen. Je öfter und je mehr ich die Richtung uns[e]res Weges nach rückwärts verfolge, um so mehr erkenne ich, daß eine höhere Hand uns leitet, die nicht umsonst uns die Treue hält. Mit allen meinen Kräften will ich Dir zur Seite stehen, furchtlos und mutig will ich mit Dir allen Widerwärtigkeiten begegnen. Das Höchste und Wichtigste aber soll über unser[e]m Lebensweg leuchten, dessen ersten Teil wir nun am 1. Advent gemeinsam beginnen: Ein Leben in Gottes Namen. Wovor müssen wir dann noch bangen? Ich will zu Dir gehören, mit Leib und Seele, für immer, Du! Denn ich liebe Dich, wie nichts mehr auf der Welt, Mein lieber, lieber [Roland]!

Du bist mein ganzes Glück.

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946