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[OBF-391121-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 21. November 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Nun muß ich Dir meine gute Heimkehr melden. Sie verlief planmäßig und ziemlich pünktlich. Von Chemnitz aus teilte ich mein Abteil mit einem einzigen Soldaten. Wir haben uns lang gemacht, ich habe halb schlummernd, müde und froh, dahingedämmert. Ich muß daran denken, wie es war, wenn ich früher von unsrer Begegnung heimfuhr, als wir einander noch nicht gewiß waren. Da waren alle Sinne damit beschäftigt, die neuen Eindrücke dem bisherigen Bilde einzufügen, Erwartung und Erfüllung gegeneinander abzuwägen, neue Pläne zu schmieden. Ja Liebste, wir sind uns nicht sogleich um den Hals gefallen, ich zumal habe gezaudert und gezweifelt, ich kann mich gar nicht mehr recht darein versetzen, wie wir damals einander gegenüberstanden, Du erscheinst mir ganz anders heute, und recht deutlich ist mir nur, wie großes Vertrauen wir ineinander setzen. Ich glaube, Du hast Dich auch irgendwie verändert in dieser Zeit, sodaß wir nun besser als vorher zueinander passen. Daß Eheleute sich ähnlich werden, innerlich und äußerlich, das ist ja eine bekannte Erscheinung. Schon früher einmal, diesmal aber besonders deutlich, habe ichempfunden, daß Du mir beim ersten Wiedersehen etwas fremd warst in Aussehen und Stimme und Miene, daß Du mir beim Abschied wieder ganz bekannt und vertraut vorkamst. Du warst frisch frisiert — ich habe Dich lange nicht mehr gesehen — das mag alles mitsprechen, aber zur Erklärung langt es nicht ganz.

Es ist wohl so, daß man sich auf den Umgang mit einem Menschen erst wieder einstimmen muß. Daß mir Fräulein Sch. in den Weg laufen mußte, war mir durchaus nicht recht. Es ist schwierig, sich vor anderen Leuten mit einer Dame zu unterhalten, zu deren Leben man wenig Beziehung hat, und dabei darauf zu achten, daß die Grenze des Vertraulichen nicht überschritten wird. Wenn ich zu Dir fahre, bin ich am liebsten ganz für mich, auch wenn ich heimreise. Von einem Pfingstausflug zum Hutberg berichtend, schrieb ich Dir einmal: Unter den vielen Mädchen darf ich nun wählen, und darf doch nur eine wählen, es möchte einen bangen, Freiheit und Beschränkung so miteinander verkoppelt. Herzliebes, ich bin so glücklich darüber, daß Du meine Gedanken und mein Sinnen so ganz erfüllst, daß ich die Schranken gar nicht spüre, daß ich gar nicht anders wählen möchte.

Nun muß ich meine Sonntagsjacke wieder in den Schrank räumen und die glücklichen Stunden unsres Beisammenseins wieder der Erinnerung anvertrauen, sie waren so kurz, Liebste, wir können uns viel länger liebhaben, wenn auch nicht so stürmisch, Du! Wills Gott, dürfen wir in den Weihnachtsferien wieder recht glücklich miteinander sein. Wenn ich bei Dir bin, dann ist Sonntag, Sonnentag, Festtag, dann spanne ich aus, dann gehöre ich mir selbst, ledig der Pflicht des Amtes. So ist es jetzt, Herzallerliebste. Festtage sind unsre Begegnungen, eingespart und freigemacht durch doppelte Arbeit vorher und durch der Eltern liebe helfende Hände.

Und dann Herzliebes? Darauf werden wir achten, Du, daß unsere Tage nicht ein graues Einerlei der Arbeit werden, sondern daß wir dazwischen ausruhen und feiern und uns besinnen wie jetzt, daß jeder Tag auch eine Würze erhält.  Aber darum ist mir nicht bange.  Was ich nicht sehe und merke, das bemerkst Du, und was Dir entgeht, das halte ich fest.  Zwei Nasen (und was für welche), zwei Zungen, zwei, nein vier Ohren und vier Händesind wir dann.

 Der Bußtag fiel also aus heute.  Am Sonnabend gedenke ich nach Dresden zu fahren, am Sonntag nach Lichtenhain, wenn das Wetter gut ist.  Kaffee kochen und heizen muß ich mir nun 2 Tage selbst.  Das kann ich ja, ist wieder einmal eine interessante Abwechslung, die mir die Zeit bis zu unserem Festtag schneller vergehen läßt.    Montag früh zeigte sich die Welt in Weiß.  Die Elbe führt wieder Hochwasser, das größte, seit ich hier bin.  Heute früh war ich um 5 Uhr munter.  Da habe ich mir meine große Rede zurechtgelegt.  Deinen Eltern will ich auch bald schreiben.  Bitte grüße sie von mir und sage ihnen Dank für ihre Herberge am Sonntag.

Liebste, ich komme so gern nach Oberfrohna jetzt, Schröderstraße 18II. Kannst Du Dir denken, warum?  Zwie Stübchen findet man dort, die Zeit steht still darin, dafür tickt und schlägt dort ein Herz, so groß und lieb, so süß, und manchmal so wild, Du!  Bald wird es wieder so weit sein.

Behüt Dich Gott, meine liebe [Hilde]!

Voll geheimer Sehnsucht und Freude sehe ich unsrer Stunde entgegen, Herzallerliebste, und unserem Tag.

Dann will ich Dich umschlingen, und Dich küssen und mich Deiner Nähe freuen.

Ich liebe Dich, Herzliebes, Du meine liebe, liebe [Hilde]!

Dein [Roland].
 

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946