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[OBF-391014-001-01]
Briefkorpus

Kamenz am 13. Oktober 1939.

Herzallerliebste, meine liebe, liebe [Hilde]!

Es ist 4 Uhr. Du kehrst jetzt heim von Deiner Arbeit — und bist allein. Liebste! Ach Du, daß wir noch nicht immer umeinander sein können! Ich bin nicht allein und möchte es doch sein in diesen Tagen, um alles Liebe und Schöne und Geheime noch einmal zu umfangen. Wie auf einer Insel waren wir mit unserem Glück. Wenn ich Dir ins Auge sehe und neben Dir gehe, kann ich so alles vergessen.

Liebste, ich kann nicht mehr lassen von Dir! Wie meinem Schatten muß ich Dir folgen. Du bist ein Stück von mir. In Deinen Augen sehe ich mein Bild, ich gönne es niemand anderem. Jede Stunde entrückt uns mehr den seligen Stunden, aber jede Stunde, Liebste, führt uns, will's Gott, näher dem Ziel uns[e]rer Hoffnung und Sehnsucht. Die seligen Stunden sind wohl entschwunden, aber nicht verloren, und über die Wehmut siegt die glückliche Empfindung, das wir uns ganz nahe gekommen sind, Liebste, daß wir höchstes Vertrauen tauschten und damit unsre Verbundenheit für immer bekräftigten und besiegelten. Was könnte uns entzweien? So vieles, was uns nun verbindet und aneinanderfesselt! Glücklich und froh macht es mich. Viele gemeinsame Erlebnisse und Geheimnisse, Gedanken, Pläne, Sorgen und Hoffnungen, unsre Elternhäuser, Verwandte und Bekannte. War ich erst froh unseres ängstlich gehüteten Geheimnisses, so bin ich es jetzt der vielen Zeugen unsres Bundes. [Hilde], Liebste, Du bist mein! Die herzlichen Empfindungen für Dich sind kein Rausch, der vergeht. Sie entspringen vielmehr der Freude auf gemeinsames Schaffen und Schauen. Unser Beisammensein hat uns ein Stück vorwärts gebracht auf dem Weg, dunkle Geister zu bannen. Wir wissen nun besser umeinander. Unsre Sehnsucht und Freude wird damit nur bestimmter und tiefer. Ach Liebste, wann werden wir uns wieder recht liebhaben dürfen, Du Süße, Feine!

Ich schreibe diesen Brief in Schmilka fertig. Heute, am Sonnabendmorgen, bin ich hierher gereist. Du wirst es schon gelesen haben: Die Ferien sind in Sachsen um 8 Tage verlängert worden. Wenn ich das eher gewußt hätte, Du! Ich bin nach Schmilka zurückgekehrt, um einmal nach dem Rechten zu sehen, um dringende Geldgeschäfte zu regeln, um schließlich in Lichtenhain nach Birnen zu fragen. Der Schnellzug war natürlich weg in Chemnitz. Ich mußte den Personenzug nehmen, kam so erst gegen 11 Uhr nach Dresden und entschloß mich, geradewegs heimzufahren. Mutter hatte mich schon Dienstag erwartet. Sie ist nicht gut zu Fuß und kann meine Hilfe gut gebrauchen. Die Ursache des Übels ist noch nicht recht klar. Am Freitag Donnerstag kam Hellmuth aus Bischofswerda auf Besuch. Gestern abend reiste er wieder ab. Montag oder Dienstag gedenke ich nach Kamenz zurückzukehren, um die angehängten Ferientage da zu verleben. Deinen Brief richte also bitte nach Kamenz. Wie abgeschlossen und ruhig lebten wir auf der Insel unsres Glückes! Nun hat uns das Treiben der Welt wieder umfangen. Spannung, Sorge und Zweifel liest man in jedem Gesicht. Müssen wir nun alle Hoffnung auf den Frieden begraben, so fragst Du mich? Liebste, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Es ist noch ein Fünkchen Hoffnung darauf, daß die Vernunft siegt. Schwindet auch sie, dann müssen wir umso fester glauben und Gott vertrauen und stille halten. Trotz der ungewissen Zeit dürfen wir hoffen, uns bald wiederzusehen. Die Eltern haben den Wunsch, den Besuch Deiner Eltern recht bald zu erwidern. Sie haben im Sinne — Ihr sollt das bitte unter allem Vorbehalt aufnehmen — Euch am 29. oder 31. Oktober zu besuchen. Genauere Angaben folgen baldmöglich. Das wäre an einem Tage, an dem wir uns verabredet haben. Ich möchte natürlich gern mitkommen. Das ist also der nächste Plan.

Deine Eltern waren wieder so lieb zu mir. Gern und selbstverständlich gewährten sie mir Gastfreundschaft. Ich weiß, daß ich gern wiederkommen darf. Freimütig und unbefangen kann ich nun auch Deinen lieben Eltern gegenübertreten. Ich bin so froh darüber. Und ich bitte Dich, danke es ihnen mit Deiner Liebe für mich mit, wie ich es auch meinen Eltern danken will, daß sie Dich als ihre Tochter annahmen. Du! Dürfen wir nicht recht froh sein über das gute Verständnis unsrer Eltern? Bitte grüße Deine lieben Eltern, gib Ihnen die beiliegende Karte und berichte Ihnen über meine Umstände. Ach Liebste! Nun wird es abend. Heute bin ich nun allein. Denkst Du unsrer Spaziergänge durch den Abend? Unsrer Gespräche? Der traulichen Runde zum Abendbrot? Der Behaglichkeit wie aus Kindertagen, auf dem Sofa unter der Decke? Denkst Du der heimlichen, süßen Stunden? Ach Du! Gebe Gott, daß wir es noch oft so erleben dürfen in der Geborgenheit unsrer Elternhäuser, daß wir es auch erleben dürfen in der Geborgenheit eines sicheren Friedens. Behüt Dich Gott, Liebste! Ich sehne mich nach Dir, Du! Ich möchte immer bei Dir sein. Ich küsse Dich! Ich liebe Dich, Du, meine Weib, meine liebe Braut, meine liebe [Hilde], Herzallerliebste!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946