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[OBF-390910-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna am 10. September 1939.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Du weißt ja nicht wie froh ich bin, daß ich endlich Gewißheit habe. Bis zum letzten Augenblick habe ich gehofft, daß Du mir schreiben wirst. Gestern, am Sonnabend, mußte doch der endgültige Bescheid kommen — einen Kartengruß erhielt ich wohl, für den ich herzlich danke — doch nichts, was mir Aufschluß geben könnte, in meiner Ratlosigkeit. Am Freitag war schon Geschäftsschluß ein ganzer freier Sonnabend lag vor mir. Ich hatte alles vorbereitet, zurechtgemacht: entweder zur Abreise, oder zu Deinem Empfang. Ich wartete nur auf Deine Anweisungen. ½ 3 kam das Postauto, ich bin an den Schalter gegangen, habe gefragt, nichts dabei. Nun wartete ich bis zum Abend mit den Eltern auf Dein Kommen — vergebens. Angst hatte ich nicht um Dich, ich weiß Dich ja zu Hause. Ich war nur in Unruhe um den Inhalt Deines Schreibens, das Du mir versprochen hattest; daß es sich verspäten könnte und natürlich somit die darin enthaltenen etwaigen Pläne vereiteln würde. Zu dieser Annahme kam ich, weil ich Euren Kartengruß vom 7. September erst gestern erhielt. Daß ich nun den Tag gestern so mit nutzlosem Hoffen und Warten ausfüllen mußte, stimmte mich abends doch recht traurig. Ich nahm Dein Buch zur Hand, ich konnte mich nicht sammeln, die Gedanken schweiften immer wieder ab. Mit dem Schlag 8 abends mußt Du einmal fest meiner gedacht haben — oder Deine Eltern, ich habe es ganz deutlich gespürt.

Mit der festen Hoffnung bin ich schlafen gegangen, daß der Morgen Klärung bringen muß. Die Nacht war so lang. Und heute am Sonntag, wo die Sonne noch einmal mit aller Wärme und Herrlichkeit uns beschenkt, ehe sie den Weg geht, der sie mehr und mehr von unsrer Erde wegführt — wie es uns dem Herbst und Winter zu scheint —, heute kann ich nicht, wie ich es so heiß mir wünschte in allen Stunden vorher, bei Dir sein. Warum kommt heute kein Gewitter, warum keine dunkeln Wolken die den strahlenden Himmel bedecken?

Ich bin schlecht und eigennützig. Sollen alle andern die Freude verdienen mit darunter leiden, weil einem dummen Mädel mal die Wünsche nicht voll ausgingen? Euer lieber Siegfried. Wie viele andere werden sein Los teilen. Um wie vieles schmerzvoller manch einer? Sie werden sich heute am gleichen Sonnenschein erfreuen, auf ihrem Schmerzenslager — auf dem Weg zur Genesung. Sie opfern sich für Deutschland, für uns — selbstlos. Wie vielen wird das Liebste genommen? Und ich will schon klagen jetzt, wo Du mir ja noch bleibst? Wie stark ist Deine liebe Mutter. Kein Wort der Klage, kein Wort verrät ihre Sorge, sie ist noch Halt und Stütze anderen. Achtung und Ehrfurcht empfinde ich für sie. Nur eine Frau, eine Mutter kann ermessen, welch innere Stärke es kostet das Liebste draußen zu wissen; täglich bereit, die schrecklichste Gewißheit zu erhalten. Möge Gottes Schutz und Segen mit all den Tapferen sein, die bereit sind, ihr Leben dem Vaterlande zu opfern; möge ihre Einsatzbereitschaft auch weiterhin so segensreich belohnt werden, daß wir alle bald an den Frieden glauben können. Und wir hier drinnen im Reich wollen alles freudigen Herzens tun, um den unseren draußen an den Grenzen zu zeigen: Wir stehen als ein Ganzes hinter euch, das mit euch denkt und fühlt und hofft, das auch bereit ist, das größte Opfer zu bringen wenn es gilt, den Frieden zu erringen.

Es ist jetzt 3 Uhr. Vielleicht bist Du schon auf dem Wege nach Schmilka? Glaub mir, mit dem Schulbeginn sehe ich nun garnicht mehr ganz so schwarz. Es tritt damit wieder eine gewisse Beruhigung und Ordnung ein. Ich glaube gern, daß man Dich in Kamenz gleich in Beschlag nahm; auch viele unsrer Lehrer waren im Rathause beschäftigt, da gibt es doch nun so viel Schreibereien. Denk nur, sogar für das Geburtstagsgeschenk Deiner Mutter mußte ein Bezugsschein her. Ich finde aber im großen und ganzen die Maßnahmen die getroffen werden richtig, es geht einem wie dem andern. Diese Vorkehrungen werden getroffen, wenn noch Bestand an Lebensmitteln und irgendwelcher Ware (noch) da ist. Zustände wie 1914 werden also demnach vermieden, damals hätte man Lebensmittel- und Bezugsscheine ausgegeben, nachdem der Nahrungsbestand schon zur Neige gegangen wäre. Eine Möglichkeit zum Hamstern ist bei uns völlig ausgeschlossen. Über acht Tage, so Gott will, sind wir in Kamenz beisammen. Es wird eine Angst sein für Deine Mutter, wenn sie an 2 Tagen 4 ‚Fresser‘ mehr im Hause hat. Ich werde die mir zustehende Ration von zu Hause mitbringen. Wann wir uns in Dresden treffen würden, teilst Du mir bitte in der Zeit mit; vielleicht arbeiten wir Sonnabend wieder nicht, dann könnte es sein, daß ich schon früh zeitig wegfahre und erst zu Dir käme. In unsrer Textilbranche sieht es jetzt bös aus: Garnmangel, dadurch kommt der ganze Betrieb in's Stocken. Aufträge sind da in Massen. Um 4 erwarten wir die Niederfrohnaer Großmutter, bis dahin will ich fertig sein mit Schreiben. Wir werden uns, solange die Sonne scheint runter setzen und ich will noch fleißig an Deinem Geschenk arbeiten. Vater schläft. Der Arme hat täglich Nachtwache im Betrieb, vom Werkluftschutz aus, auch Sonntags. Bei uns soll es nun auch eingerichtet werden. Eigentlich habe ich das Verdunkeln jeden Tag bald satt. —

Wie es nun kam, mit unserm für heute bestimmten Wiedersehen, ich will es tragen ohne zu klagen. Ich will's Dir nicht schwer machen Liebster! Ich danke Gott, daß Du mir bleibst. Und die Liebe zu Dir, mein [Roland], sie bleibt ja immer gleich groß — ob ich bei Dir bin oder nicht.

Ich will ganz geduldig sein — will warten —auf Dich — Du! Gott schütze und behüte Dich!

Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

Die Eltern grüßen Dich recht herzlich mit den besten Wünschen für Dich und Deinen Anfang morgen.

(Deinen lieben Eltern habe ich noch paar Zeilen geschrieben.)

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946