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[OBF-390623-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 22. Juni 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Du liebes, herziges Weibchen, hast Dich so um mich gesorgt! Deinen Brief erhielt ich erst am Dienstag, sodaß ich (ich) [sic] nicht darüber erschrak. Liebe [Hilde], Du sollst Dich Dir um mich keine übertriebenen Sorgen machen.

Wenn mir etwas zustößt, bist Du die erste, die es erfährt. Und wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich jemanden damit beauftragen. Und, liebe [Hilde], wenn ich vor Sorgen mir keinen Rat wüßte, dann flüchtete ich zu Dir, und wenn ich nachts aufbrechen müßte, an Deiner Seite wollte ich meine Ruhe und Zuversicht finden, ich kann auf dieser Erde nichts Besseres hoffen und finden als Dich, Liebste, und wenn ich nur Dich und Deine Liebe behalte, jeden anderen Verlust will ich ertragen. Ach Liebste, ich habe mich schon so nach Dir gesehnt. Wann werden wir uns wieder recht liebhaben dürfen? Für unsre nächste Begegnung bestehen drei Möglichkeiten, hilf mir wählen!

1)    Ich komme nach Oberfrohna. Ich bin eigentlich dran, möchte Dir das lange Fahren gern ersparen. Deine Eltern zählen vielleicht darauf.

2)    Du fährst mit mir nach Hause, nach Kamenz.

3)    Du kommst nach Lichtenhain. Das würde passen. Frau H. hat vom 25. Juni bis 2. Juli keine Gäste. Wenn Du Dich dafür entscheiden solltest, würde ich es gern sehen, wenn Du Montagvormittag heimfährst, damit Du nicht in den Sonntagabendtrubel kommst.

Jetzt stehen noch drei Wege offen, wenn dann die Tage vorüber sind, sehen wir rückblickend, daß nur einer möglich war. Die Sommerferien sind vom 25. Juli bis zum 26. August. Davon möchte ich ein paar Tage bei Dir und Deinen Eltern verbringen. Soweit sich überhaupt soweit rechnen läßt, habe ich an die Tage vom 27. Juli (Donnerstag) bis 31. Juli (Montag) gedacht. Wenn nur mit dem Übernachten noch ein andrer Rat würde, ich darf Euch Euer Nachtlager nicht mehrere Male nehmen. Daß wir uns bald wiedersehen möchten, darauf geht heute mein ganzes Denken, liebe, liebe [Hilde]! Gut Nacht, Liebste, ich küsse Dich und habe Dich lieb! Herzallerliebste! Du hast meiner so lieb und reich gedacht auf Deiner Fahrt. Das Thüringer Land können wir gern noch einmal miteinander bereisen. Nun haben wir ja mit dem Ordnen und Einkleben uns[e]rer Bilder ein gut Teil Arbeit. Es wird Dir ebenso gehen, Liebste, überall, wo ich Neues höre und sehe, da sehe und höre ich es mit für Dich, und vernehme es dann mit doppelter Aufmerksamkeit.

Daß ich mich schon viermal verschrieben habe, daran magst Du die Vorbereitungen für das Schulfest erkennen. Ich bin mit Arbeit bisher ziemlich verschont gewesen, weil ich nichts davon verstehe, die anderen schon eingearbeitet sind. Aber die Pflichten, die am Festtag meiner warten, neben der laufenden Arbeit und der Hitze haben das Gehirn doch schon ein wenig angegriffen. So wenig Interesse ich verspüre an diesem Fest, so rührt mich nun doch ein wenig der Ernst, die Liebe und freudige Erwartung der Kinder, der Einsatz und die Opferwilligkeit der Erwachsenen. Über 600 M sind an Spenden bisher gesammelt worden. Die Festfolge sieht vor einen Festzug von der alten Schule durch das ganze Dorf bis zur Festwiese, das ist Bauer H.s Wiese, dicht bei uns; Vogelschießen, Kasperletheater (vielleicht, daß ich dort auf die Kosten komme), Speisung der Menge selbstredend, Lampioneinzug. Meine Aufgabe dabei: Die größeren Jungen beschäftigen und betreuen: Barrlauf, Ball über die Leine, Staffettenläufe usw. Schon im Interesse einer reibungslosen Abwicklung, und damit ich selber trocken aus dieser Volksbelustigung hervorgehe, wünsche ich mir nun auch schönes Wetter für diesen Tag. Mein Schulleiter legt einen ungeheuren Eifer an den Tag, den ich nicht verstehe. Eifrig sein kann ich nur in einer Sache, die ich als lohnend und des Eifers wert erkannt habe. Eines könnte ich aber durchaus nicht: Propaganda dafür machen. Das tut er ausdauernd und ohne Hemmungen. Ich wagte, verwundert darüber, den Einwurf, daß man dann doch auch den Gästen, die man in großer Zahl von überall einlädt, mit etwas Besonderem aufwarten müsse. — Na, die Menschen sind glücklicherweise verschieden, und schließlich ist er ja auch Schulleiter. Ich lege Dir eine Einladung als historisches Dokument bei. Wenn es Dich lockt: Würstel und Semmel, Eis und Fischelsemmel, Jahrmarktstrubel und Kinderlärm — ich kann es Dir nicht verwehren, nur haben wir an dem Tage wenig voneinander. E Manch andrer an meiner Stelle hätte seine Liebste an diesem Tage vielleicht gleich zu etlichen Hilfsdiensten mit angestellt und damit gleichsam in seinen Wirkungsbereich und Wirkungsort eingeführt. Ob Du es gern gehabt hättest? Du, ich mag das nicht. Erstens bist Du mir dazu zu gut, zweitens verwöhnt man damit die Leute, in der Lehrersfrau den Burschen des Lehrers zu sehen; und dabei ist sie doch das Weib, dem Manne beigestellt, der von Beruf Lehrer ist. Wenn die Lehrersfrau einmal helfend einspringt, dann ist das ebenso eine Gefälligkeit, als wäre es die Mutter eines Schulkindes. Das Schulfest ist für mich jetzt die Bretterwand, die mich von uns[e]rer nächsten Begegnung trennt, und die ich deshalb so mühelos als möglich überklettern will.

Es ist jetzt 11 Uhr am Freitagabend. Ich bin vor einer halben Stunde heim vom Begrüßungsabend der neuen Kdf.-Gäste [sic], habe den Kameraden V. zu 2 Liedern begleitet. Von 4-6 Uhr war ich mit im Walde Reisigfahren [sic]. Morgen Sonnabend werde ich kaum Zeit und Muße haben, Dir zu schreiben. Ich werde etwas Eifer mimen, mir eine Arbeit zuteilen lassen, bei der ich mir selbst überlassen bin und meine Gedanken zu Dir gehen können. Das tun sie oft und gern, Du, Süßes, Herzliebes. Am Sonntagvormittag werde ich — den Gedanken zur Ruhe und Sammlung vor dem Sturm — die Orgel schlagen. Ich habe mich dazu erboten, um den Schulleiter zu entlasten. Ich freue mich darauf. Auf dem Postamt gibt es die beiden Ansichtskarten zu kaufen. Die eine gibt von unserem Orte ein recht gutes Bild. Dein Brief, das heißt mein Brief an Dich, liegt wohlverwahrt im Schatzkästlein. Meine Eltern wollten am Dienstag abreisen und mit Aufenthalten in Passau, Salzburg und Regensburg die Heimreise antreten, dabei die Rochlitzer Verwandten mit umstoßen. Meinem Vater würde ich es zutrauen, daß er dabei Euch in Oberfrohna mal aufsucht. Das ist nur eben mein Gedanke, ich habe dafür keinerlei Anzeichen, und will damit keinesfalls Alarm geschlagen haben. Bitte grüße mir Deine Eltern!

Und nun? Im Geiste stehe ich Dir gegenüber, meinem großen, lieben Mädchen, Du!, wir zwei, die sich sehnen, eins zu werden, und wir dürfen hoffen, daß diese Sehnsucht sich bald erfüllt, und dürfen uns jetzt schon unsrer frohen Zuversicht freuen, Liebste, Du meine liebe [Hilde]!

Gott behüte Dich mir! Ich küsse Dich — Du! — ich liebe Dich,

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946