Bitte warten...

[OBF-390613-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 12. Juni 1939.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Gestern früh ging ich, Deinen Brief in den Händen voll banger, zitternder Erwartung in mein Kämmerchen. Nur mir allein sollen diese Minuten gehören, in denen ich die Zeichen von Deiner Hand aufnehme. Drei Blätter — mein Blick gleitet über die Zeilen hin, immer schneller mit klopfendem Herzen, mit heißen Wangen lese ich — einer Verdurstenden gleich, die den Becher nicht eher absetzt, als bis er geleert ist.

Du, mein [Roland]! Ist das noch der stille, ernste, verschlossene Mensch von ehedem, der fast nicht an das Glück glauben wollte? O nein — es ist ein froher, freier und glücklicher Mensch, der durch diese Zeilen zu mir spricht. Wie danke ich dem Herrgott, daß er Dich lenkte. Und was Dich so wandelte, es ist das große, tiefe und fast übermächtige Gefühl:, die Liebe. Scheu, fast andächtig sprach ich einigemal die Worte nach, die Du geschrieben hast: Ich liebe Dich, Ach Du! Du! Ein Himmel tut sich vor mir auf, Jauchzen und Klingen ist in mir — wie hast Du mich beglückt, Liebster! Das Herz ist mir so übervoll, ich möchte weit hinauslaufen, möchte mein Glück hinausrufen in den Sturm; weh, könnte ich jetzt bei Dir sein. Drei Wochen zähle ich noch, bis zu unser[e]m Wiedersehen, dann sollst Du mir sagen, daß Du mich liebst. Morgens beim Erwachen ist unser Glück der erste, abends der letzte Gedanke. Ich bin so erfüllt davon, die Arbeit und alles andere Geschehen ist mir fast gleichgültig. Unsere Gedanken können nicht fehl gehen in dem Sehnen und Erinnern nach dem Vergangenen. Wie ist die Welt so schön. Es ist sehr lieb von Dir, daß Du mir unsere Reisebilder beilegtest, schön der Reihe nach geordnet. Wenn ich sie betrachte, dann steht alles wieder so greifbar nahe vor mir. Das Dubitzer Kirchlein schaue ich so gern an, mit ‚unserm’ Berg im Hintergrunde. Schließe ich dann die Augen, sehe ich einen düsteren Wald, eine Wiese feucht vom Tau, vom milden Mondenschein übergossen; ringsum ragen schwarz die Berge in den Himmel, es ist als sei dort kein Leben. Doch weit unten, am Fuße der Anhöhe, liegt ein breites, helles Band: Der Fluß — da ist Leben, Lichter bli[nke]n und bewegen sich fort. Oben halten sich zwei Menschen umschlungen, stehen an dem Ort, der sich als ihr Märchenland erschloß — still, trinken sie den wundersamen, nächtlichen Anblick in sich hinein, zum letzten Male. Ach Du! Wir hatten uns so lieb.

Weißt Du, der späte Besuch in der Waldmühle drang störend ein in unseren Seelenfrieden. Dort herrschte eine ganz andere Atmosphäre und diese Leute waren auch glücklich auf ihre Art. Mir kamen diese Gedanken schon, als ich zu Bett lag. Du wirst es auch empfunden haben. Ich wollte diesen kleinen Mißklang gerne weglöschen, wollte Dir noch etwas recht Liebes sagen — ich fand die rechten Worte nicht, war so hilflos und mir kamen die Tränen. Ich weinte nicht, weil Du mich in’s Bett schicktest — ich bin Dir nicht böse, Du.

Ach ich werde ja nicht fertig, an unser gemeinsames Erleben zurückzudenken. Welch frohe Zeit ist für uns angebrochen. 8 Tage sind für Zwei eine lange Zeit, uns schien sie so kurz, wie viele neue Wege öffneten sich. Wir wurden einander nicht überdrüssig. Du hast so recht: Hätte uns nur sinnliche Liebe verbunden, wären wir in dieser Zeit fertig geworden miteinander.

Wir konnten uns nicht lieber haben und ich wünschte, es möchte so bleiben. Du! Wir müssen und wir wollen fest und treu zu unserm Gelübde stehen. Unser Weg wird oft nicht leicht sein, das soll uns jedoch nicht Bange machen, und aus diesem Grunde wollen wir jetzt vernünftig sein und uns nicht bewußt Not und Bedrängnis in den Weg stellen; denn das tun wir, sobald wir uns[e]re Freude überschäumen lassen.

Ich bleibe bei Dir, ich behalte Dich lieb Du, Liebster!

Dienstagabend ½ 11 Uhr.

Mein lieber, lieber [Roland]!

Nun sind meine Gäste wieder fort. Heute war Kränzl bei mir und ich hatte außer meinen Mädels eine frühere Schulfreundin mit eingeladen. Es gab diesmal so viel zu erzählen — sie ist jung verheiratet und Mutter eines allerliebsten, kleinen Mädelchens.

Liebster, heute mittag nahm ich Deinen Kartengruß in Empfang, ich war so freudig überrascht. Das hast Du ja wieder mal großartig aufgezogen, diesen Text verstehen nur wir beide! Aber weißt Du, schlimme 13, ganz so grün wie Deine angegebene 5 fühle ich mich nun doch nicht! Dein Bruder und Du, Ihr beiden versteht Euch auf’s Kartenschreiben. Wie ich den Sonntag verbrachte? Weil Mutter und ich am Sonnabend gewaschen hatten, hab ich mir geleistet einmal gründlich auszuschlafen, bis um acht. Dann kam ja Dein lieber Bote! Du, wenn Du wüßtest, wie oft ich ihn schon in meinen Händen hielt. Beim Kochen war ich am Sonntag verhältnismäßig schlecht bei der Sache, der Braten war ein bissel versalzen. Nachmittags hatte ich mich mit Luise zum Spazierengehen verabredet. Doch ich wollte so gerne noch eine Weile ganz mit den Gedanken bei Dir sein. So riegelte ich mich nach Tisch in meine Kammer ein, legte mich mit Deinem Brief auf’s Sofa und — schlief vor lauter Glück und Träumerei ein. Genau um 4 [Uhr] wachte ich auf und siehe da, nebenan hatten die Eltern auch Mittagsruhe gehalten und die Zeit verschlafen. Ich ging dann rasch zu Luise und wir bummelten miteinander hinaus nach den Feldern, der Landstraße nach Kaufungen zu; zurück über Oberfrohna-Rußdorf und Limbach — um 8 [Uhr] war ich daheim. Das Wetter hielt sich noch bis zum Abend, seit gestern hat’s noch nicht wieder aufgehört zu regnen (Regnen?) [sic] — Und heute nun war Dein Wandertag. Ich frag’ mich, ob ihr bei dem Wetter ausgeflogen seid? Du mußt recht oft an mich denken, glaub ich. Meine Gedanken kommen nicht los von Dir, die ganze Zeit schon — ich will sie ja gar nicht auf andre Bahnen zwingen!

Vergangenen Freitag fand nun endlich unser Klassentag statt. Er verlief sehr harmonisch — bis auf einige dreiste Überfälle auf unsern Herrn Oberlehrer, von seiten einer unverbesserlichen Klassenschwester. Um Mitternacht erschien noch eine Runde Likör, Eine feierte ihren 19. Geburtstag. ½ 1 [Uhr] trennten wir uns endlich in gehobener Stimmung; Erinnerungen wurden ausgetauscht, böse Streiche aufgefrischt und so manche heimliche Schlechtigkeit kam zutage, die unserm ‚Alterchen’ bis dahin vorenthalten worden war. Herr H. sprach ein paar liebe Worte zu uns und freute sich, daß nach Jahren so viele unserm Versprechen treu blieben. 1944, will’s Gott, sehen wir uns am Palmsonntag alle wieder. Während meiner Abwesenheit hatten sich die andern auch geeinigt, in der Frage des Geschenkes: Eine große Kiste Zigarren und einen großen Strauß Rosen! Wir hatten bestimmt das Rechte getroffen, denn er strahlte über’s ganze Gesicht. —

Am kommenden Sonnabend früh um 520 [Uhr] fahre ich mit unserm Betrieb, so viel ich weiß, nach Thüringen. Ach, ich freu mich kein bissel drauf, viel lieber käm’ ich zu Dir. Hoffentlich ist schönes Wetter, damit ich nicht den ganzen Tag drinnen, unter der Menge versitzen muß. Bei uns im Geschäft steht das Barometer auf Sturm. Unser Junior hat sich mit seinem Onkel (unserm Geschäftsführer) entzweit und fängt mitte [sic] Juli ein eigenes Unternehmen an in Oberfrohna. Die brennende Frage: Wird er seinen Anteil fordern an Maschinen, an Arbeitskräften? Gesetzlich steht ihm das zu. Wer wird nun herausgerissen werden? Weiter: Unser Landjahrmädel hat es auf irgend eine Weise fertig bekommen, sich davor zu drücken. Das Arbeitsamt fordert eine Neue. Wir aber denken nicht daran, in eine zweite Verlosung einzuwilligen. Es ist unser gutes Recht, den wahren Sachverhalt ihrer Befreiung zu wissen ehe wir in neue Verpflichtungen einwilligen. Kurz — wir befinden uns wieder mal in einer kritischen Lage. Die Zukunft wird Klarheit schaffen und mir ist jetzt vor nichts mehr bange, Du. Als Beispiel halte ich mir die Lage Deines Bruders vor. Um wie viel mehr geht es bei ihm und er hat Pflichten, größere als ich. Es steht ernst um ihn — er faßt die Sache herzhaft und mutig an und verliert obendrein noch nicht einmal seinen goldenen Humor.

Mein [Roland], seit ich weiß, daß Du mich liebst, will mir vor nichts so schnell angst werden. Stark und getrost macht mich dieses frohe Gefühl. Im Aufblick zu dem, der über uns ist mit seinem Schutz, sag ich Dir: Ich bin so ruhig, so voll von Zuversicht und Vertrauen und ich weiß, Du bist es auch.

Gut Nacht, Liebster! Behüt Dich Gott! Ich liebe Dich!

Deine [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946