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Briefkorpus

Oberfrohna, am 7. Mai 1939.

Mein lieber [Roland]!

Mich drängt es, noch etwas für Dich zu schreiben, wenn’s auch schon längst Schlafenszeit ist. Ich kann keine Ruhe finden. Bald wird die Uhr Mitternacht schlagen. Bist Du es, Lieber, der mich in Gedanken sucht?

Kantate, Singesonntag war heute. Zwar ließ das Wetter zu wünschen übrig, aber der Tag verlief doch froh und reich an schönem Erleben. Oft, oft wünschte ich Dich an meiner Seite. Nachmittags zwischen 4 und 5 [Uhr], — wir nahmen am Gottesdienst teil — habe ich noch ganz fest Deiner gedacht. Der Pfarrer zu Wittgensdorf hatte den liturgischen Teil eigens zusammengestellt, und das hat er meisterhaft verstanden. Überhaupt seine Redeweise, seine Art sich uns mitzuteilen, machte mir ihn so sympathisch; er flocht in diesen liturgischen Gottesdienst ein kurzes, freies Wort mit ein. Und gerade das tut so not in der kritischen Zeit, in der wir Christen uns befinden. Recht gut wußte er die Stellungnahme unsrer Kirche dem Staat gegenüber zu schildern, und er verstand weiter, uns Mut und Kraft und Glauben neu zu wecken, und zu schenken. Ach ich wünsch[te], Du selbst hättest mit mir aus seinen Worten Vertrauen und Zuversicht schöpfen können.

Die Witterung erlaubte, daß wir die Pflichtchöre im Freien, vor der Kirche vortrugen. und später, im Gasthaus Krone, boten die einzelnen Chöre noch sehr hübsche Lieder. Ja, wir waren einigemale überrascht über die beachtlichen Leistungen, die zu Gehör gebracht wurden. Unser Lied ging gut und fand sogar reichen Beifall. Die Wittgensdorfer hatten alles aufgeboten für einen festlichen Empfang. Ich meine, das alles wird auch Dich interessieren, darum habe ich Dir eine Festfolge mitgebracht. An Ansichtskarten bot sich nur eine Sorte feil. Mit dem 8 Uhr Zug fuhren wir wieder zurück. Auch ich hatte heute früh Dienst in der Kirche — meine Gedanken waren bei Dir, Du!

Anschließend fand noch eine Ehrung statt für 4 Mitglie[der] der Kantorei, die für 10 jährige Treue mit der silbernen Ehrennadel ausgezeichnet wurden. Ich war heute so wenig daheim, ¾ 1 [Uhr] ging’s schon wieder in’s Pfarrhaus zur Probe, anschließend zur Bahn. Und nun denke ich 2 Jahre zurück — Siegmar-Schönau — weißt Du noch? Dort spielte im unteren Saale die Kapelle Höckner-Gregory [Unklar] zum Tanze — und Du schenktest mir, von uns Mädchen, den ersten Tanz. Du! Wenn ich daran denke!

Nun schlafe wohl, Liebster! Ich küsse Dich, Du!

Mein lieber [Roland]!

Allem voran will ich Dir recht herzlich danken, für Deinen so lieben Brief. Er hat mich gestern überall hin begleitet, bestimmt war ich darum auch so froh.

Du weißt zu trösten, Du! Trübe Stunden gehen vorüber — ich will aushalten; ja, ich will und ich kann viel ertragen, wenn ich nur Dich habe.

Ich danke Dir für Deine Worte, Du!

Glücklich und befreit sehe ich aus Deinen Zeilen die Gewißheit, daß Du froh und nicht traurig heimkehrtest. Und auch Du denkst gern und froh an die Tage zurück, die wir zusammen verlebten.

Ich will mich mühen, dazu beitragen, daß ich unsre klare, reine Freude nicht wieder durch einen Mißton trübe. Manchmal läßt sich eine trübe Stimmung schwer rasch beiseite schieben. Durchschnittlich liegen zwischen jeder unserer Begegnungen 4 Wochen Zeit. Muß man dann die Wiedersehensfreud vergällen?

Es ist sehr wahr: Alle Empfindungen ballen sich zu dieser Zeit zusammen und wollen sich entladen, wie beim Gewitter. Und Du hast recht, ein wenig Selbstzucht hilft über so vieles hinweg. —

In dieser Woche bin ich wieder einmal vollauf beschäftigt. Es geht um die Entscheidung des Klassentages. Keine andre Möglichkeit einer Verständigung untereinander besteht, als die: Eine kurze Zusammenkunft bei ‚besagter’ Klassenschwester. Sie ist gesund aus der Klinik zurück mit einem Buben. Das Leben geht weiter. Schamgefühl ist nun, nachdem wohl nicht mehr am Platze; das erfordert schon ihre Umgebung, der Geschwisterschaftsbetrieb. Bis um 9 war ich bei Frl. W., wir schrieben 35 Briefumschläge für die gedruckten Einladungen, die müssen nun morgen alle, je nachdem, ausgetragen oder verschickt werden. Dazu könnten wir Deine Jungen brauchen! Nun ist noch Streit, wer am Mittwochabend die ‚Rede redet’. Dann wieder zu Herrn H. und den offiziellen Tag festlegen. Ich denke es wird der Sonnabend nach Himmelfahrt gewählt werden.

Ach Du, in 9-10 Tagen, so Gott will, bist Du bei mir! Ich hab schon gerechnet, wenn Du mit dem Eilzuge um 1254 [Uhr] am Mittwoch in Dresden wegfährst, würdest Du 1625 [Uhr] in Oberfrohna sein. Ich würde Dich von der Bahn abholen, der Chef wird mir schon die halbe Stunde schenken. Wird es denn Sonntagskarten geben? Sonst ist das zu teuer! Denk an Pfingsten, Du! Am Mittwochabend gingen wir zusammen durch ‚meinen’ oder ‚Deinen’ Wald; nicht zu spät schlafen, und am andern Morgen wanderten wir nach dem Muldent[al.] Am vergangenen Sonnabend war ich mit Mutter in Chemnitz einkaufen. Ich bin neugierig, ob meine Wanderschuhe Deinen Geschmack finden werden. Auch Stoff für’s Sonnenkleid hab ich erstanden, nun kann die Arbeit wieder beginnen.

Denk nur, im Geschäft beginnen wir schon um 6 Uhr früh, ist das ein langer Vormittag. Die Chancen nutzen, galt es hier. Ich gestehe ein, daß ich es war, die die ganzen jungen Mädels aufwiegelte, daß wir jetzt oder nie auf die Frühstückspause bestehen müssen. Die Verheirateten waren dagegen, natürlich weil sie schon um 11 [Uhr] nach Hause gehn. Und damit mir keine von denen zuvor käme, bin ich runter zum Chef und hab ihn in aller Höflichkeit, im Namen aller Jugendlichen um sein Einverständnis zu dieser Bitte angehalten. Vorher hab ich alles genau durchdacht und so vorgebracht, daß er garnicht ‚nein’ sagen kann. Hätte er sich gesträubt, so wären wir eben auch schlecht geworden und hätten uns an eine höhere Stelle gewandt. Er kann sich aber in diesem Falle nicht weigern, er würde sich strafbar machen. Du hättest mir mal sein Gesicht sehen sollen, als er bewilligte: „Die Bande oben weiß wohl, weshalb sie mir Sie schickt,“ meinte er und dabei bin ich ja von selbst gegangen weil ich’s für notwendig hielt. Vergangene Woche hab ich schon einen Kampf wegen meinen Ferien mit ihm durch. Viele wollen ihren Urlaub auf später verlegen und weil viel zu tun ist, gab er heraus: Wer den Urlaub verlegt, muß Pfingsten arbeiten. Das ging doch wieder gegen unsern Plan. So ging ich und bat außer meinen zuständigen Urlaub um weitere 8 Tage, entweder im Hochsommer oder Herbst. Mein Herz klopfte ja ganz gehörig in diesen Minuten, aber nur nicht einschüchtern lassen! Eine ganze Weile guckte er mich sprachlos an, meinte dann, ich hätte viel Mut und darüber würden wir nochmal sprechen. Abgewiesen hat er mich nicht. Ich will’s schon schaffen. Du glaubst ja nicht, wie wir uns alle über die bewilligte Pause freuen. Ich glaube, ich wäre verzweifelt über einen endlosen Vormittag mit 6 stündiger, durchgehender Arbeitszeit. Nun, wenn die Sonne scheint, setzen wir uns heraus in den Garten.

Für heute mag es genug sein lieber [Roland], ich bin so müde. Morgens um 5 [Uhr] kannst Du mal an Dein armes Mädel denken, denn da klingelt unbarmherzig der verwünschte Wecker.

Ich wünsche Dir recht viel Freude und schönes Wetter an Deinem Wandertag.

Behüt Dich Gott!

Ich hab Dich so lieb! Ich küsse Dich, mein [Roland] Du!

Deine [Hilde].

Die Eltern lassen Dich herzlich grüßen.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946