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Briefkorpus

Lichtenhain am 2. Mai 1939.
Am Dienstag.

Meine liebe [Hilde]!

Und am Dienstag, da ist alles gewesen. So sagte ich vorausschauend in den Tagen meiner Ungeduld. Und nun ist es wieder Dienstag. Und es ist doch manches geblieben, mehr als sonst. Und Du hast manches mitgenommen und ich weiß, meine Sehnsucht wird bald wieder mächtig werden. Liebe [Hilde]! Diese Tage wurden so reich an Beziehungen und Verbindungen innerer und äußerer Art. Unsre Wanderung und auch der Kinderbesuch waren dazu wichtige Mittler. Du fandest mich froh und aufgeschlossen. Immer hatte ich das Gefühl, daß Du Liebe mit folgtest, so äußerlich wie innerlich, alles sah und empfand ich mit Dir zusammen. Nicht einmal empfand ich eine Leere, nicht einmal fühlte ich mich gefesselt, gefangen, verspielt oder unzufrieden. Aber einige Male schien es mir, als wandelten wir im Sonntagsland, im Märchenland, oder als sei es eben festlicher Besuchstag.

Und mit einem selten schönen Erlebnis und Bild fuhr ich am Sonntag froh zurück: Wie eine Königin sahst Du herunter zu mir vom Fenster des Wagens, so strahlend und bezwingend, mehr als Deine Worte mich bezwingend, Dir zu dienen, Du!, meine Königin!

Liebe [Hilde]! Heute ist nun Freitag. Ganz unverhofft erhielt ich heute Deinen lieben Brief mit den Bildern. Noch immer klingen die beiden Tage in mir nach. Noch immer wird alle Erinnerung überstrahlt von dem königlichen Bild und von dem Gefühl des Glückes, Dich zu besitzen, das mich einigemal [sic] überkam, Du Liebe!

Du weißt mein Benehmen beim Abschied recht zu deuten. Wenn ich es vermeide, Dich oft anzusehen und mit Dir zu sprechen. Ich fuhr froh nach Hause, ich sah durchs Fenster in die Nacht, ich dachte nichts Bestimmtes, aber ich war voll innerer Freude. Die Traurigkeit war so schnell geschwunden. Daß Du nur recht verstanden hast. Ich war nicht traurig unseretwegen. In die blühende Freude drangest Du mit Deinem frostigen Orakel, mit Deinem Zweifel und Deiner Klage. Ich glaube nicht an Dein Orakel. Aber es stimmte mich traurig, daß Du mir damit die Möglichkeit des Verlustes der kaum gewonnenen Freude vor Augen hieltest. Dein Zweifel, ich möchte Dich gering achten und ich müßte an Deiner Seite auf manches Verzicht leisten, stimmte mich nachdenklich. Und Deine Klage, liebe [Hilde], daß alles gut sei an meiner Seite, daß zu Hause Dich aber ein leerer Alltag umfange, ich verstehe sie so gut. Ich weiß Dir keinen gescheiten Rat dagegen. Ich weiß nur einen Trost: Daß Du die Leere empfindest, daß Du sie fliehen möchtest, daß Du meinen Umgang liebst, das stimmt mich ja nur froh und zuversichtlich. Halt aus! Denk an mich! Ich will es Dir Dank wissen.

Ja, siehst Du, und was mich nun in Tränen ausbrechen ließ, das war mein ehrliches, geschwisterliches Mitempfinden, das mir in dem Augenblick selten deutlich und eindringlich mein eigenes holpriges Leben spiegelte. Ich beklage mich nicht über mein Geschick. Ich liebe es, und liebe es jetzt erst recht. Ich möchte die vergangene Zeit nicht noch einmal leben, aber ich bin froh, daß ich sie so durchlebte. Ich mag nicht anders sein, als ich bin. Und nur in schwachen Stunden wird mir die Tragik dieses Lebens schmerzlich bewußt. Ich sah Dich noch nicht einmal launenhaft, und weiß das recht wohl zu schätzen. Ich glaube nicht, daß Deine Schwermut und der Hang zum Orakeln besonders beachtenswerte Schwächen sind. Dann hilft auch ein wenig Selbstzucht darüber hinweg.

„Träume sind Riegel, nicht Schlüssel zum Leben!“

Es liegt in allem Orakeln ein Mißtrauen gegen Gottes Führung.

Lieb sind mir alle Zeugen und Erinnerungen, die mir die Wirklichkeit Deines hierseins [sic] bestätigen.

In den Kissen ist noch der Duft Deines Haares. Im Schranke der Duft Deines Parfüms. Am Dienstag haben wir uns mit Deinen Pritschen geschlagen. Am Mittwoch beim gemeinsamen Kaffee Deinen Königskuchen aufgegessen. Er war nun jetzt erst recht mürbe. Und heute gelangte ich nun in den Besitz der Bilder. Vielen herzlichen Dank. Alle geraten. Von unseren Bildern sind es die besten bisher. Endlich habe ich ein paar Großaufnahmen von Dir. Sie sagen nicht alles. Ich sah Dich noch mit anderen Augen. Aber sie sagen doch manches. Freut mich, daß auch Du mich auf einem neuen Bilde hast, das meinen Beifall findet. In den Gruppen schneide ich in dem Bemühen um eine recht natürliche Haltung schon wieder Gesichter. Ich habe die Bilder schon meinem Album einverleibt.

Die Woche ist um. Freie Stunden liegen vor mir. Sie haben keinen Sinn ohne Dich. Rauh und unfreundlich ist es draußen. Ich habe eine warme Stube. In einer Stunde will ich noch einmal mit der Schaufel antreten. Ich lasse mir Zeit und werde mich nicht übernehmen. Morgen bin ich bis Mittag in der Kirche beschäftigt. Ist das Wetter günstig, gehe ich nach dem W., um meine Schulden abzuessen.

Zu uns[e]rer Begegnung am Himmelfahrtstage kann ich noch nichts weiter sagen. Die kommende Woche wird uns darüber gewisser machen. Meine kleine Freundin? Ach, sie ist mir doch eine liebe Zerstreuung, manchmal. Sie will mir nicht sonderlich wohl diese Woche. Ich empfinde dankbar, wie gut ich doch bei meinen Wirtsleuten aufgehoben bin.
[Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]


Und nun möchte ich meinen Boten auf die Reise schicken. Möchte er Dich froh und gesund antreffen. Laß den Husten sich nicht festsetzen. Bitte grüße Deine Eltern. Sie möchten vielleicht Lust bekommen, noch mehr Briefe zu lesen. Der Gedanke beunruhigt mich nicht. So sehr ich auch selber darüber wache, daß niemand über Deine Briefe gerät.

Möchtest Du bei der Erinnerung an Deinen Besuch recht inne werden, daß Du mir lieb und wert bist, und daß ich Dich recht liebhabe, Du, meine liebe, liebe [Hilde]! Behüt Dich Gott!

Ich habe Dich lieb! Ich küsse Dich, Du!

Dein [Roland].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.390502-001-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946