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[OBF-390422-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 22. April 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Soviel Feiertage, die ich ohne Dich verbringen muß! Darüber kann nur trösten, meinen Boten bei Dir zu wissen und die Freude, Deinen Boten zu empfangen. Ich habe mich sehr gefreut über Deinen Bericht, den ich am vorigen Sonntag erhielt. Wenn ich Deine Briefe die ersten Male lese, dann ist mir der Inhalt wichtig. Wenn ich sie aber dann wiederlese, das vierte und fünfte Mal, dann wird mir auch deutlich, wie sie geschrieben sind: flüssig, klar, anschaulich, und wenn ich bedenke, was meine Kinder so zusammenschreiben, Du hast richtig eine Begabung dazu. Doch ich will aufhören mit dem Loben, sonst kriegst Du vielleicht noch mehr Verwandte auf den Hals vonwegen Aufsatzbauen, und Deine freie Zeit wird Dir noch mehr verkürzt. Übernimm Dich nur nicht! Geh auch nicht so allein spazieren in den Wald!

Liebe [Hilde]! Heute erhielt ich Deinen Brief, der mir bestätigte, daß mein Geburtstagsgruß Dich pünktlich erreicht hat. Am Dienstagnachmittag brachte ich das Paket nach Sebnitz zur Post. Auf dem Heimweg fiel mir ein, daß ich das Bestellgeld nicht bezahlte. Und ein anderes Bedenken kam mir: Der Paketbote möchte niemanden antreffen, da Ihr doch alle auf Arbeit seid. Umsomehr freut mich nun Deine Nachricht. Am Mittwochvormittag, ich bin schon um 10 fertig, war ich ganz bei Dir, bei Deiner Erwartung. Und was Du mir nun schreibst darüber, wie Du es aufgenommen hast, und wie Du mir nun antwortest –– –– –– liebe [Hilde], wenn ich Dich nun bald wieder in meine Arme schließen darf, und wenn es dann Dich verlangt, mich festzuhalten, so dürfen wir es auch ein wenig froh in der Gewißheit, daß wir uns wieder ein Stück nähergekommen sind. Wirst Du denn bald kommen? Du! Wird Euer Klassentag nicht im Wege sein? Morgen werde ich wieder allein durch die Natur bummeln müssen. Es ist jetzt so viel zu sehen. Vergangenen Sonntag sah ich in Sebnitz den Film „Der Schritt vom Wege“. Am Mittwochnachmittag — ich freute mich so darauf, mit meinen Gedanken ganz bei Dir zu sein — bekamen H.s Besuch, eine Lehrerin, die früher hier wohnte, Frln. Kurz. Es war ja so eigenartig, daß ich gerade an Deinem Geburtstag genötigt wurde, Dich und Dein Wesen vor mir selbst zu verteidigen. Das Fräulein mag 30, 31 sein. Es ist fast so lang wie ich, in der Gestalt etwas grob, nicht ganz ebenmäßig, von liebenswürdigem, lebhaftem Wesen, intelligent, soweit ich erkennen konnte von guten Eigenschaften, stammt aus Norddeutschland, auch begabt mit mancherlei Tugenden, die H.s gar nicht genug loben konnten, Fleiß, Unverdrossenheit. Es gab sich, daß wir zusammen einen Spaziergang um den Pfarrberg unternahmen. Das Fräulein blieb über Nacht und fuhr am andern Morgen weg. Zwischen 8 u. 9 Uhr abends wurde illuminiert. Ich zog mich zurück, und im festlichen Schein der Lämpchen saß ich auf meinem Sofa, vor mir lagen Deine Bilder, ich las ein paar Deiner Briefe, und da empfand ich beglückend, was ich an Dir besitze. Am (Mittwo) [sic] Donnerstagvormittag mußte ich an einer Morgenfeier teilnehmen, die sich mit verlängertem Frühschoppen bis gegen Mittag ausdehnte. Am Nachmittag entdeckte ich einen schönen Spaziergang für uns beide, für einen warmen Tag, mit schönen Ausblicken, ganz einsam und verschwiegen, mit einem grünen Ruheplätzchen. Du!

Ach liebe [Hilde], möchte die Woche recht schnell vergehen! Meinen Stundenplan schicke ich Dir im ar nächsten Briefe mit. Arbeit habe ich genug, aber keine rechte Lust und keine Gedanken zur Arbeit.

Es ist jetzt um 5. ½ 6 geht die Post. Das wichtigste habe ich Dir [a]ufgeschrieben. Du wirst mir im Laufe der Woche noch mitteilen, wann Du kommen kannst. Ich hole Dich in Dresden ab.

Bleibe gesund, Liebes! Verlebe den Sonntag recht froh und ruhe Dich aus! Ich werde immer bei Dir sein mit meinen Gedanken. Bitte grüße Deine Eltern.

Du weißt es ja, ich habe das Küssen schon ganz verlernt, und wenn Du nicht bald kommst, werden wir wohl lange brauchen, eh ich es wieder lerne.

Du, liebe, liebe [Hilde]!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946