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[OBF-390420-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 20. April 1939.

Mein lieber [Roland]!

Es ist mir nicht möglich, Dir meinen Dank so zu erweisen, Dir meine übergroße Freude zu zeigen so, wie Du es verdienst hättest — Du bist so weit fort von mir.

Aber in zehn Tagen, da bin ich, so Gott will, bei Dir, Du! Der Mittwoch, mein Geburtstag, stand so hell und sonnig [z]wischen den grauen Regentagen. Und das allein schon ließ mich froh sein. Den ganzen Vormittag bei der Arbeit war ich erfüllt von freudiger Erwartung. Ich war gewiß, daß mir die Eltern eine Freude bereiten würden. Ich glaubte auch daran, daß Du mir einen lieben Geburtstagsbrief schreiben wirst.

So kam ich am Mittag heim. Den bekannten Platz für Deine Briefe fand ich leer — fragend sah ich die Eltern an. Die verzogen keine Miene. Ich sah dankbar meinen Gabentisch, doch es fehlte etwas. Dann hielt ich’s nicht länger aus, und ich fragte, ob denn nichts da sei, für mich. Da zog Mutter ein Paket unterm Sofa hervor! Na, Du kannst Dir ja denken, wie ich gestrahlt hab, vor Überraschung und Freude.

Wie schön Du das ausgedacht, und wie lieb Du mir alles bereitet hast, Du — ich danke Dir so sehr.

Lieber [Roland], was ich Dir nun schreiben muß, darf Dich nicht kränken!

Von Deinen Überraschungen ist mir das Liebste, Höchste und Wertvollste Dein Brief.

Er gehört mir ganz allein — ohne ihn wäre meine Freude unvollkommen.

Ich kenne keinen Menschen, der in seinem Wesen so wahrhaftig ist wie Du. Deinen Ernst und Deine Wahrhaftigkeit, wie ich sie liebe an Dir. Ich vertraue Dir, bis in[’]s Letzte. Und ich glaubte an Dich, wäre gleich alle Welt gegen Dich. Wenn ich zurück denke — Ostern vor einem Jahre.

Du gingst von hier. Still und zurückhaltend, wie Dein Wesen sich mir zeigte, so war auch Dein Abschied.

In unserem Kreise warst Du allen lieb und wert geworden und, — ohne, daß ich jetzt Herrn Gründer nahetreten will — die Tatsache steht unverrückbar vor den Augen aller, mit Dir ging die beste Kraft aus unsrer Mitte.

Auch ich liebte Dich als meinen Lehrmeister.

Doch, das darfst Du wissen, mehr noch und ganz anders liebte ich Dich als Mensch.

Ungerecht, undankbar, wie viele and[e]re auch, empfand ich Deine Versetzung. Meine Gedanken waren immer: Wie muß ihn das treffen. Ich weiß, daß Du ganz in Deiner Musik aufgehst, daß dies Amt, wie Du es hier betreutest, für Dich geschaffen war. Du opfertest Dich auf für dieses Amt. Das erkannte ich, obgleich ich doch ziemlich Laie bin, auf diesem Gebiete.

Das Rad des Schicksals lief unerbittlich weiter.

Die Zeit steht wieder vor meinen Augen; voller Not, Bedrängnis, voller Zweifel und Wirrnis war ich, und keinem Menschen sonst konnte ich mich anvertrauen,

Es gibt eine letzte Zuflucht: Gott.

Hilft denn aber beten — Vernunft, wenn das Herz nicht Ruhe gibt? Sollte ich tatenlos zusehen, wie mein Leben weitergeht — freudlos, traurig und ohne Inhalt?

Ich bin gewiß: Keine noch so große Aufgabe, kein noch so verantwortungsreicher Beruf könnte meine Liebe zum Schweigen bringen. Schicksal — das Wort verstandest [sic] Du mir so wahr und eindringlich auseinanderzulegen. Schicksal ist nicht nur [un]vermeidliches Hinnehmen.

Empfand ich das damals schon im Unterbewußtsein?

So bin ich: Das, was mir das Liebste sein soll, will ich mir erkämpfen. Nie könnte ich etwas so hoch schätzen, was mir durch gütige Vorsehung und ohne mein Mühen in den Schoß fiel. Schicksal ist auch Aufgabe. Ich tat einen schweren und gewagten Schritt, als ich Dich rief. Hatte ich Angst?

Ein paar Worte nur von Dir hätten alles in mir zerschmettern können. Die Wahrheit ist manchmal grausam; aber wäre sie denn grausam gewesen, als das qualvolle, untätige Hinnehmen und Abfinden?

Mutig und Gott vertrauend sollen wir die Aufgabe anfassen. Mein lieber [Roland], bis jetzt war Gott mit mir.

Er war mit uns beiden im vergangenen Jahre, wir wissen darum. Und wir wollen mit ihm vereint unseren Weg weitergehen, wollen unter seinem Schutz und Segen hoffen, unser Ziel zu erreichen. Ich habe Dich in Deinem Brief verstanden, lieber [Roland] und ich danke Dir für Deine Wahrheit.

Froh und dankbar will ich mit Dir sein, an Deiner Hand, mit Deiner Hilfe will mir vor nichts bange werden.

Freude und Dankbarkeit erfüllt mich darüber, daß ich auch Dir etwas sein konnte im vergangenen Jahre, daß ich Dir nicht unnütz war. Du hast viel Mühe mit mir — ich kann sie mit nichts vergelten, als mit meiner Liebe und mit meinem guten Willen.

Du sollst mein Gärtner sein, und wir wollen beide Gott bitten um seinen Segen, daß Deine Saat Frucht tragen möge.

Ich sage Dir meinen innigsten Dank, Du!

Ich küsse Dich, Du mein lieber, lieber [Roland] und grüße Dich recht herzlich

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946