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[OBF-390414-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 14. April 1939.

Dienstagabend [17. April 1939].

Mein lieber [Roland]!

Heute, nach den Feiertagen ist kein Kränzl, und ich habe den Abend zu einem Spaziergang benutzt. Ich bin ja so froh, wenn ich einmal allein und an der Luft sein kann, mein Dienst geht auch jetzt noch bis 6 abends. Wir können unserm Chef nicht genug schaffen.

Ich frage mich, ob wohl in Lichtenhain auch solch herrliches Wetter ist? Manchmal bin ich traurig darüber, daß wir so weit voneinander entfernt sind. Auf meinem Wege begegneten mir viele junge Leute, Hand in Hand — die Soldaten haben ja noch Osterurlaub. Du darfst nicht denken, daß ich neidisch wäre!

Ich mußte an Dich denken. Ich hatte Sehnsucht nach Dir.

Und vorhin, es war ½ 10 [Uhr] als ich unser Gartentor aufschloß, fiel eine Sternschnuppe — ich sah die erste dieses Jahr — ganz fest hab ich da an Dich gedacht, lieber [Roland], Du mußt es gefühlt haben. Vielleicht bist Du gar um diese Stunde heimgekehrt? Morgen ruft auch Dich wieder die Pflicht und meine Gedanken können nun fester zu Dir gehen — nun bin ich gewiß, wo Du eigentlich steckst!

Am Sonntag erhielt ich Deinen lieben Brief, er hat mich sehr froh gemacht, Du! Ich danke Dir.

Froh gemacht hat mich auch die Bestätigung von Deiner Hand, daß die Überraschung Dir Freude bereitete.

Morgen und übermorgen will ich schon mit dem nächsten Brief beginnen, schriebst Du mir. Ich werde näheres erfahren über Dein Tun in den Ferien und ich freue mich schon darauf, lieber [Roland]. Jetzt wünsche ich Dir eine gute Nacht und einen recht glücklichen Anfang morgen früh.

Ich küsse Dich, mein lieber [Roland]!

Deine [Hilde].

Mein lieber [Roland]!

Zwei Tage sind nun schon wieder hingegangen — aber [heu]te am Freitag muß ich mir Zeit nehmen für Dich. Bis zum Sonntag sollst Du endlich ein Zeichen von mir haben, Du wirst warten darauf. Es bleibt mir jetzt zu wenig Zeit; als ich vom Geschäft heimkam, ging ich einkaufen, tat ein paar Handgriffe und schon ist es wieder gleich 8 Uhr. Ach, ich will froh sein, wenn die dringenden Aufträge erledigt sind und ein wenig mehr Freiheit winkt. Daheim steht auf dem Programm ‚Waschfest’; es ließ sich nicht länger aufschieben und gestern abend hab ich Mutter mitgeholfen, diese unheimliche Menge Wäsche einweichen. Für Beschäftigung am Wochenende ist also bestens gesorgt. Am Mittwochabend fand ich eine dringende Einladung zur Singestunde vor: Üben für’s Kantate singen in Wittgensdorf, findet in diesem Jahre wahrhaftig statt, weil nun die ‚Seuche’ erloschen sei. Wir singen die Lieder vom letzten Male, als Du noch bei uns warst. Als weltliches Lied, daß beim Kameradschaftsabend im ‚Gasthaus Sonne’ zum Vortrag gelangt, wählte Herr G. ein vierstimmiges Lied von Goethe: „Zwischen Weizen und Korn, zwischen Hecken und Dorn, zwischen Bäumen und Gras, wo geht’s Liebchen, sag mir das ....." u.s.w., klingt sehr hübsch, wenn es klappt! Ausersehen für dieses Treffen ist der 7. Mai. Denk nur, unsre Gesellschaft hat 6 neue Mitglieder bekommen. Art: weiblich. Alter: zwischen 14 und 50. —

Wie ich die Feiertage verlebte?

Als ich am ersten aus der Kirche kam, fand ich zu Hause Chemnitzer Besuch vor, Onkel, Tante und die beiden Buben. Sie blieben bis zum Nachmittag und liefen dann mit den Eltern zusammen nach Niederfrohna zur Großmutter. Ich fuhr mit dem 5 Uhr Zuge nach Chemnitz mit der Absicht, „Parsifal“ anzuhören. Die Handlung dieses Spieles ist mir noch in Erinnerung von der Schulzeit her, fürsorglich kaufte ich mir trotzdem noch ein Textbuch. Meine Berechnung war: 6 Uhr Kassenöffnung, also der erste Weg zum Theater, Karte besorgen. Die Zeit bis 8 [Uhr] wollte ich mir vertreiben, indem ich die Auslagen der Geschäfte besehe und nach langer Zeit einmal wieder ‚Michaelis’ besuche.

Totenstille im Vorraum des Theaters — plötzlich hörte ich die Stimme eines Sängers, ich lauschte, stutzte. Der nächste Gedanke, hinaus und das Programm im Kasten ansehen. Da, o du trauriges Gesicht vom Dorfe! Steht schwarz auf weiß, Beginn: 17 00 [Uhr] Ende: gegen 23 00.[Uhr] Ich war heilfroh, daß mich in diesem Augenblicke niemand beobachten konnte. Ohrfeigen hätte ich mich können, daß ich in unsrer Tageszeitung nicht gewissenhafter nach dem Beginn sah. Durch Vorwürfe und Anklagen macht man eine Dummheit nicht gut; es hieß also handeln.

Nach dem Schauspielhaus: Der Reiter. Nichtssagender Titel, na, mir war das dann gleich, nur um keinen Preis heimfahren und mich auslachen lassen. Es war sehr gut besucht, ich bekam auch noch einen guten Platz, 2. Rang, 1. Reihe.

Und glaub mir, lieber [Roland], ich hab nicht bereut, daß ich das Stück ansah. Es spielte um 1600 in einer kleinen deutschen Stadt und am kaiserlichen Hofe zu Prag. Kaiser Rudolf II. regierte damals. In dieser Zeit beschuldigte man viele Fra[ue]n der Hexerei und gerade in dieser Stadt nahmen diese Beschuldigungen überhand. Man ließ die Frauen gefangen nehmen, zwang sie durch die Folter zu den unsinnigsten Geständnissen. Die Männer dieser Frauen taten sich zusammen, konnten nichts ausrichten, waren machtlos gegen das Gesetz, daß der Bürgermeister streng vertrat. Unter den jüngsten opfern befand sich die schöne, junge Frau eines Malers. Unschuldig wurde sie gemartert. Ihr Mann, der Maler Lemp, glaubt an die Reinheit und Wahrhaftigkeit seines Weibes — dieser Glaube muß eine harte Probe bestehen, als man ihm die Nachricht bringt, sein Weib habe gestanden. In der höchsten Not erscheint der Reiter, strahlend, kühn und tapfer — ein Augsburgischer Gesandter, die Prozesse zu überprüfen. Er erkennt die Torheit, mit welcher die Amtsgewaltigen ihr Recht und Gesetz zu erfüllen glauben. Er ist zu allem bereit, um der Quälerei ein Ende zu bereiten. Aus Liebe zur schönen Barbara, oder um der Sache willen? Er reitet zum Kaiser fordert Gerechtigkeit, Gnade.

Der Kaiser, beeindruckt von seiner Art, seiner Tapferkeit, gewährt, nachdem er sich überzeugte, beides. Er vergaß aber nicht zu prüfen, ob die Liebe zu Barbara es war, die den Reiter zu diesem Schritt bewegte — oder die wahre, selbstlose Einsatzbereitschaft für diese geknechteten Menschen. Barbara wurde ihrem Manne wiedergegeben. Viele andere teilten ihr Glück. Der Reiter trat von nun an in des Kaisers Dienste mit der Bestimmung, daß überall wo er erscheint, die Gnade [d]es Kaisers mit ihm sei.

Es war das erste Mal, daß ich im Theater weinte.

Hüte Dich vor bösen Männern! Das ließ ich mir zur Warnung gereichen. Zwei waren im Theater, die eine gewisse Absicht verfolgten. Solch kühles, abweisendes Gesicht wie ich denen machte, hast Du vielleicht an mir noch nicht gesehen. Einer war so hartnäckig und verfolgte mich bis zum Bahnhof. Ich bin ihm dann im Menschengewühl entwichen, angesprochen hat er mich nicht. Es ist nicht gut, wenn man ganz allein ausgeht, so bald wird das auch nicht wieder vorkommen.

Am 2. Feiertag besuchten uns die Glauchauer Verwandten. Nachmittags kam noch meine Freundin, wir gingen nach dem Hohen Hain spazieren und hielten Kaffeepause im ‚Belvedere’. Um 10 [Uhr] bin ich schlafen gegangen, am andern Morgen hieß es wieder tüchtig sein. So siehst Du, daß auch ich Freude, Ablenkung und Zerstreuung hatte — doch meine Gedanken waren trotzdem oft, oft bei Dir, Du!

Ich weiß, daß auch ich mich einmal mit dem Gedanken vertraut machen muß, Deinen Eltern gegenüber zu stehen. Ich sehe ein, sie haben das Recht und den Wunsch, mich kennen zu lernen. Ach [Roland], ich habe doch große Angst, wenn ich daran denke. Ist es schon so weit, daß Du mich frei und ohne Bedenken vor sie führen kannst?

Die sinnliche Liebe hat Gewalt über uns gewonnen, wir sind beide verwirrt deshalb und ein wenig unsicher in unseren Empfindungen. Am Anfang war alles anders. Du machtest Dir schon Vorwürfe, daß Du gesäumt hast, mich zu förder[n], über dem anderen. Es ist möglich, daß aus Freundschaft eine Liebe wächst — aber nimmermehr kann man diese Liebe dann wandeln in Freundschaft. So glaube ich, weil ich das fühle. Ist es denn möglich, daß diese Liebe so mächtig sein kann und alles übrige um uns belanglos scheinen läßt, in den Schatten stellt? Aber diese Liebe allein reicht nicht aus für einen Lebensbund. An manchen Tagen bedrängt mich das alles so sehr.

Wir müssen durch diese Krise hindurch, müssen klar sehen können, und dann, wenn wir uns einig, gewiß sind, den rechten Weg vor uns sehen — den Du mit mir ohne Bedenken und Mißtrauen gehen kannst — dann will ich alle Angst überwinden und mit Dir gehen, wohin Du willst. Du hast mich beglückt und froh gemacht mit Deinem Briefe, er atmet so viel Zuversicht. Ich möchte Dich jetzt bei mir haben, Du! Deine Hände in den meinen halten fest, ganz fest und in Deine Augen sehen, dann fühle ich mich so geborgen. Möchte doch der Tag bald kommen, an dem ich wieder bei Dir bin.

Du schläfst sicher schon lange. Bitte, schreib mir doch Deinen neuen Stundenplan einmal mit, ich interessiere mich dafür. Von Herrn G. erfuhr ich, daß 2 Lehrer von hier weg müssen, wegen Schülermangel; wen das betrifft ist noch ungewiß.

Weißt Du noch, ich erzählte Dir von Herrn G. Vor etwa [7?] Wochen hat ihn seine junge Frau mit dem Kind verlassen. Es muß viel dazwischen liegen, ehe man solchen Schritt geht.

Am Dienstag ist Familie G. abgereist, er ist versetzt worden nach Frankenberg.

Nun will ich Dir noch genau meine Ferien aufschreiben.

Vom 27. Mai bis 3. Juni, der fällt gerade auf einen Sonnabend. Ich glaube, daß ich dann erst am 5. wieder beginne. Nun will ich schließen, ich bin sehr müde. Du kannst mir das vielleicht nachfühlen.

Die Eltern danken Dir für Deine lieben Grüße und Osterwünsche und grüßen Dich herzlich.

Ich warte auf Deinen Brief. Möchten Dich meine Zeilen bei guter Gesundheit finden und Dich ein wenig erfreuen.

Gute Nacht! Behüt Dich Gott!

Voll Zuversicht, voll Vertrauen drücke ich Dich fest an mich, ich küsse Dich, Du mein lieber [Roland],

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946