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[OBF-390315-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna., am 15. März 1939.

Mein lieber [Roland]!

Es gibt im Leben Stunden, in denen man meint, die Zeit müßte still stehen, so unwiederbringlich scheinen sie uns. Und ich empfinde das jedesmal auf’s Neue, wenn Du bei mir bist.

Ob Du mich da verstehen kannst?

[W]orte scheinen mir so leer und schwach, so armselig, um das ausdrücken. Du selbst hast schon empfunden, daß unsere Freundschaft, unsere Neigung nun die Form angenommen hat, die alle Herzlichkeit in Wort und Brief überflügelt.

Ein Blick — ein Händedruck — eine Liebkosung — sie vermögen so viel mehr, als irgend ein Wort.

Ich denke so gern an die Stunden zurück, die ich mit Dir verlebte. Das Wiedersehen am Sonnabend — der Gang durch den Schnee, vorbei an den hastenden Menschen — unser Geplauder — alles nahe, greifbare Wirklichkeit.

Dann die Oper — Beethoven’s Musik — und ich brauchte nur die Hand auszustrecken, ein wenig mich zur Seite zu neigen — und ich fühlte Dich bei mir.

Ich sagte Dir schon, daß die Musik einen starken Eindruck auf mich machte — es gab Augenblicke in denen ich vergaß, daß hier noch so viele Menschen denselben Klängen lauschen — da ich meinte, das alles geschieht nur für uns beide.

Es nimmt mich wunder, daß ich gerade diesmal mit soviel Wärme von dem Stück spreche; obgleich doch die Handlung keine außergewöhnliche war. Wir haben doch gewiß schon andere, wertvolle Sachen gehört.

Beginne ich jetzt erst recht zu verstehen, oder ist man einen Tag mehr empfänglich für Musik und Spiel?

Oder mag es an der Freude liegen, die ich hatte, über Dein Kommen? Aber es war doch auch ein wenig Angst und Sorge mit dabei! Doch dann, in Deiner Nähe, schwanden sie mehr und mehr.

Nun bin ich wieder allein. Tagsüber beginnen die Eindrücke schon wieder zu verblassen, doch wenn ich heimkomme, steht das Vergangene wieder vor mir. Ich vermeine Dich sitzen zu sehen; abends, wenn es still ist, Deine Schritte zu hören. Wenn ich zur Ruhe gehe, drücke ich mich ganz tief in die Kissen und dann denke ich daran, daß Du in meinem Bett geschlafen hast — daß vorher Dein Kopf hier ruhte.

Wirst Du Dich auch wirklich wohlgefühlt haben bei uns? Wie schnell vergeht ein Tag. Unaufhaltsam rückt die Zeit vor. Ich war so froh, daß wir am Sonntag so oft allein sein konnten, Du! Und doch kam der Abschied so früh.

Ich weiß nicht, wie das am Sonntag kam.

Wir saßen beisammen die letzten Minuten, und sahen uns in die Augen. Und plötzlich schlug mein Herz so hart — Dein Atem ging so rasch — und es war in mir wie ein wildes Aufbäumen, gegen die Trennung.

Ich konnte nicht mehr Dich ruhig ansehen, ich hätte vergessen, daß die Eltern im Zimmer nebenan sind und jeden Augenblick kommen könnten. Ablenkung mußte ich haben, deshalb der plötzliche Aufbruch.

Es darf Dich nicht befremden, Du! ich hatte Dich so lieb. Verzeih mir! —

Drüben auf dem Hofe des Baumeisters heult der Hund — und ich möchte am liebsten hier drinnen mit heulen, so verlassen komme ich mir vor. Die Eltern schlafen schon und [i]ch soll Dich, Lieber, herzlich von Ihnen grüßen.

Bist Du gut und wohlbehalten daheim angekommen?

Und hast Du Dich wieder mit dem Alltag vertraut gemacht?

Diese Fragen werden mir vielleicht in 2 Tagen beantwortet. Seit Deiner Abreise ist viel geschehen.

Die deutschen Truppen zogen heute in Böhmen und Mähren ein, und der Führer folgte ihnen nach. Eine dicke Überschrift in der heutigen Zeitung meldet: Die Tschecho-Slowakei ist nicht mehr!

Die Aufregung der Leute ist hier ähnlich wie am letzten Male, und ich bedaure, daß wir kein Radio haben. Ich staune, mit welcher Sicherheit und Überlegung unser Führer vorgeht.

Aber glaubst Du, daß alles ohne ernste Zwischenfälle abgehen wird? Sicher bin ich recht töricht und unverständig.

Ich denke immer mit Schrecken daran: Wenn sich die ganze Angelegenheit hinzieht bis zum Herbst, oder noch länger und Du wirst eingezogen und müßtest im Kriegsfalle mit fort! Wir leben in einer großen, ernsten Zeit und ich will ganz gewiß nicht jammern und verzagen, wenn’s wirklich gilt zu beweisen, ob deutsche Mädels sich bewähren, auch in Not und Gefahr. Aber das Liebste, das man auf Erden [siehe Abbildung] hat, gibt man doch nicht ergeben und kampflos hin.

Das sind große Worte: Sich restlos einsetzen für sein Volk und wenn es gilt, auch mit dem Leben.

Sie bedeuten dem Manne, dem Soldaten wohl das Höchste, das sie dem Vaterlande darbringen können.

[Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]



Aber dem Weibe, der Mutter sind sie ein Stoß ins Herz, möge sie noch so viel Edelmut enthalten. Die Frauen, die aus dem vergangenen Kriege hervorgingen müssen uns Vorbild sein.

Und wir können in aller Wirrnis und Bedrängnis nur immer wieder die Hände falten und den Höchsten bitten, daß er uns führt den rechten Weg und uns Kraft gibt, um alles Schwere zu tragen.

Das ganze Leben ist ein ewiger Kampf und es liegt (ein) zum große[n] Teil an jedem Einzelnen selbst, ob er durch sein Mühen und Dazutun als Sieger daraus hervorgeht. —

Bei uns hier herrscht seit gestern ein fürchterlicher Schneesturm, sogar der Jahrmarkt muß verschoben werden und ich frage mich, ob das bei Euch wohl auch so stürmt. Am Sonnabend und Sonntag werde ich fleißig an Dich denken, eigentlich vergeht ja kein Tag, an dem ich das nicht tue! Hast Du mich noch lieb?

Behüt Dich Gott! Ich möchte mich ganz fest an Dich schmiegen. Ich küsse Dich, mein lieber, lieber [Roland] Du! Und grüße Dich recht herzlich,

Deine [Hilde].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.390315-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946