Bitte warten...

[OBF-390304-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 3. März 1939.

Meine liebe [Hilde]!

Auf Deinen Boten habe ich gewartet. Sein Säumen wird gern entschuldigt. Am Mittwochabend war ich so munter, und da wußte ich, daß Du meiner denkst und wahrscheinlich an mich schreibst. Gegen 11 Uhr habe ich in Deinen Briefen gelesen, gegen ½ 1 bin ich zu Bett, ich habe nur wenig geschlafen, Du böser Störenfried. Nun kannst Du bis Sonntag nur einen kurzen Brief bekommen, gerade so lang, wie er heute abend fertig wird, denn morgen will ich nach Hause, und da habe ich kurze Elle. Ich freue mich mit Dir und Deinen Eltern, daß der Umzug nun glücklich beendet ist. Ich freue mich besonders, daß Ihr nun freier, selbständiger haust, und daß Du nun zu einem eigenen Kämmerlein gekommen bist. Ich werde es besichtigen dürfen. Im Beisein Deiner Eltern werde ich dabei ein wenig Gleichgültigkeit mimen. Ob ich den Wandschmuck schon mitbringen kann, ist noch ungewiß. Soweit ich übersehen kann, steht meinem Besuch bis jetzt nichts entgegen. Über Einzelheiten müssen wir noch einig werden. Ich hätte gern mit Dir ein Theater besucht. Ich möchte diesmal aber die Pläne Deiner Eltern keinesfalls durchkreuzen. Darum forsche, ob sie meinem Vorschlag gewogen sind. Bitte sieh auch nach dem Spielplan.

Du schreibst, liebe [Hilde]: „Ich habe Angst, Dich wiederzusehen“. Ich denke mir etwas dabei, ob es richtig ist, weiß ich nicht. Wir waren uns so nahe, Du! Du lagst in meinen Armen. Und, höchstes Entzücken, Du gabst mir Dein Herz, [Hilde]! Du! Und schenktest es mir nachträglich im Briefe mit den Worten, den liebsten dieses Briefes: „Du weißt das“. Ich will des hohen Geschenkes und Pfandes stets eingedenk sein, liebe [Hilde]! Und ich will es mir nur immer wieder nur schenken lassen und will Dir dienen um dieses Geschenk, und Du sollst es nur mir schenken, wenn ich es verdient habe.

Aber notgedrungen, in schreckliche Enge getrieben an den Altar treten; das Höchste und Beste in Bangen und Ängsten wegstellen, würdelos, vor der göttlichen Weihe? [Hilde], ein warnendes Beispiel schwebt mir vor. Wenn ich auch heute milder beurteile, worüber ich erschrak, als ich es entdeckte; mag es ein Zeichen heftiger, stürmischer Liebe sein, so ist es doch auch ein Zeichen der Unbeherrschtheit. Welche Pflichtvergessenheit gegen Deine Eltern! Welcher Verstoß gegen Pflicht und Ehre meines Standes! Welche Nahrung für den schrecklichen Klats[ch!] [Hilde], das darf nicht sein. Und mir, als dem weitaus älteren, kommt es zu, Deine Ehre zu schützen. Und Du sollst mir dabei helfen! Nicht nur darum bangen wie eine willenlose Magd, sondern sie verteidigen, wie eine selbstbewusste Herrin und Gebieterin. Du wirst mich verstehen, Liebes, Herziges, Du! Das stärkste, das mich davon zurückhält, ist die Liebe zur Freiheit, wäre die Furcht vor der schrecklichen Enge und Bedrängnis. Du kennst diese Liebe an mir. Und ich muß an eine Angst denken, die mich noch zuweilen umschleicht, und mich schon einmal überrumpelte, die Angst vor der Enge.

Es heißt im Bilde recht sinnreich: der Hafen der Ehe, in den Hafen der Ehe einlaufen. Der Hafen aber ist eine Enge im Vergleich zu dem freien Meer. Bange sein mußte mir anfangs darum, Enge und Engherzigkeit und enge Verhältnisse zu finden bei Dir und Deinen Eltern. Unterdessen habe ich Großmut kennengelernt an Deinen Eltern. Ich war so froh, als Du schriebst, daß Deine Eltern zurückgezogen leben. Das ist immer ein gutes Zeichen. Großmut hast Du mir schon oft bewiesen, in Wort und Tat. Du weißt, wie ich diese königliche Tugend an Dir schätze. Du bist gesonnen, allen [ü]blen Nachreden und zudringlichen Blicken zu trotzen, und dem Klatsch jede Nahrung zu entziehen. Und Du siehst mich entschlossen, nicht urteils- und besinnungslos, aber unbekümmert um Vorurteile, mich frei zu entscheiden. Wenn das so bleibt, dann muß auch der letzte Schatten dieser meiner Angst weichen. Ich weiß, daß es zwischen uns beiden niemals kleinlichen Zank und engherzige Vorwürfe geben könnte. Mit Dir etwas rechtes zu schaffen, unbekümmert um andere, Gott und unsrer Kraft vertrauend: ich denke froh und gern daran, liebe [Hilde].

Während ich das schreibe, schaut der Abend durch die Fenster. Der Westhimmel prangt in prächtigen Farben, darunter ist ein ganz seltenes, überirdisches Blaßblau und Blaßrosa. Ich sehe nach dem Pfarrberg, nach Westen. Die kahle Linde auf dem Pfrarrberg steht schwarz vor dem bunten Himmel wie ein entfalteter Fächer aus feiner Filigranarbeit. Ich möchte mit Dir durch den Abend gehen, schweigend. Dienstagabend und gestern abend habe ich einen Mondscheinbummel nach Mittelndorf unternommen. Auf dem freien Platz und gegenüber herrscht seit Montag reges Leben. Etwa 20 Arbeiter sieht man am Werk. 2 Baubuden sind erstanden. Etliche Arbeiter sind am Ausschachten, etliche putzen Steine zu. Die Geräusche der Arbeit werden nach Feierabend abgelöst von dem fröhlichen Lärm der Kinder, die sich zwischen Brettern, Stangen und Steinen austoben.

Unser letzter Sonntag mit seinem ausgesucht garstigen Wetter steht wie ein schwarzer Pudel in der Reihe dieser hellen Vorfrühlingstage, als hätte es so sein sollen.

Mit Deiner Antwort rechne ich am Mittwoch, sodaß ich bis Freitag noch ein paar Zeilen antworten und fest zusagen kann. Bitte, sage Deinen Eltern herzlichen Dank für die Einladung.

Morgen fahre ich nach Hause. (So steht in meinem Konzept. Jetzt bin ich schon zu Hause). Bruder hat Geburtstag. Er ist eben, um 6 Uhr, aus Erfurt eingetroffen. Das Neueste zu Hause: Zum 1. April ziehen wir um, nach Kamenz, es hat nun endlich geklappt mit einer passenden Wohnung.

Heute abend [sic] werde ich Ruhe haben vor Dir? Du! Nach meinem Zuhause findest Du Dich noch nicht.

Und nun? Ich halte Dein Köpfchen in meinen Händen und halte es ein wenig von mir ab und lese in Deinen Zügen, und nun will ich Dich küssen und dann Dich fest an mich drücken, Du! Meine liebe [Hilde]! Behüte Dich Gott.

Es grüßt Dich recht herzlich

Dein [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946