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[OBF-390130-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 30. Januar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Eine Woche liegt nun erst zwischen unserem letzten Zusammensein — viel länger scheint mirs schon. Voll Dankbarkeit las ich Ihren lieben Brief immer wieder. Wie fleißig haben Sie meiner täglich gedacht, trotz aller Arbeit. Man soll im Glück nicht zu laut jubeln — mir fällt das jetzt wahrhaftig schwer.

Das neue Jahr ließ uns beide schon erkennen, daß es einen stürmischen Anfang nimmt. Wie viele Überraschungen hält es wohl noch bereit? Der vergangene Sonnabend war ein wahrer Glückstag.

Mittags erwartete mich Ihr lieber Brief und eine Nachricht.

Denken Sie nur [Roland], am 1. März beziehen wir unsre neue Wohnung! Wie froh wir sind — vor allem ich — können Sie vielleicht gar nicht ermessen. Nicht in dem Hause, das ich Ihnen zeigte. Diese Wohnung ist bis jetzt noch nicht geräumt, und der Vermieter ließ uns auch noch keinen [B]escheid zukommen. Wir bleiben der Schröderstraße treu. Kennen Sie den Kartonagenfabrikanten U., Ecke Kant- und Schröderstraße? Es ist die Nummer 18, gegenüber von Baumeister T..

Allerdings befindet sich unser neues Heim 2 Treppen hoch und ist in allem etwas niedlicher als jetzt. Aber dafür haben wir 5 Räume. 3 davon sind normal, viereckig und 2 Räume haben je eine schiefe Wand. Ich werde ein Mädchenstübchen haben — das allein bedeutet schon eine halbe Seligkeit für mich! Ein abgeschlossener Vorsaal ist auch da und (nicht lachen — ich weiß das zu schätzen, weil wirs entbehren mußten!) sogar Klosett mit Wasserspülung und Dampfheizung. Überall elektrisches Licht und überall am Fußboden Linoleum. Herr U. läßt uns sogar noch alles kostenlos vom Maler vorrichten. Vater hatte schon vor Weihnachten gehört, daß diese Wohnung frei wird und danach gefragt. Es wurde ihm aber gesagt, daß sich der Umzug dieser Mieter auf Tausch vollziehe.


Wahrscheinlich oder scheinbar? (!!) hat sichs [sic] geändert und Herr U. fragte nun Vater, ob wir noch Interesse an dieser Wohnung hätten. Die Eltern besichtigten alles und wurden sich einig. Wie schön und sauber alles in diesem Hause ist. Ich kanns noch gar nicht recht fassen, daß wir nun wahrhaftig unsere alte Behausung verlassen. Ich glaube Herr U. hat sich erst eingehend nach uns erkundigt, weil er nun doch noch nach uns fragte. Er wolle uns alles nach Wunsch einrichten; es müsse aber auch ein Einsehen von seiten der Mieter da sein, vor allem schätze er Zuverlässigkeit und Ruhe. Sie haben keine Kinder und arbeiten tagsüber mit im Geschäft. Jedes Wochenende verbringen sie mitsamt dem Dienstmädchen auf ihrem Landsitze. Wir sind also viel allein im H[aus]e. An die kommenden 4 Wochen mag ich nur ungern denken. Es wird so nach und nach alles sauber gemacht und weggepackt. Sobald der Maler im neuen Heim fertig ist, wird manches ganz aus unserem Bereich entschwinden. In 2 Tagen holt der Tischler unsre Schlafstubeneinrichtung zum Vorrichten ab, in der letzten Woche die Betten. Dann werden wir eine Etage tiefer auf der Matratze unser müdes Haupt zur Ruhe legen!

Ich hoffe nur, daß unser Einzug zur vollsten Zufriedenheit ausfällt.

Draußen ziehen mit vernehmbarer Musik die Nationalsozialisten vorbei, nach dem Jahnhause zu, die Führerrede anzuhören. Obgleich ich mir einbilde, daß auch ich ein guter Nationalsozialist bin, halte ich es doch für wichtiger an meinen lieben Freund zu schreiben, als ebenfalls zuzuhören. — Ich hoffe nicht, daß mal einer unserer Briefe geöffnet wird und der Inhalt einem Unbefugten unter die Augen kommt!

Daß Sie beim letzten Male Strafporto bezahlen mußten bedaure ich, lieber [Roland] — aber nur ein wenig. Sie fühlten sich schuldig, das mache ich mir natürlich zunutze und spare mir die Vorwürfe!

Eigentlich wollte ich schon gestern, am Sonntag schreiben. Vormittag war Gottesdienst — Vorfeier des 30. Januars. Herr Lehrer F. Limbach sang Solo — vielleicht wird das ein neues Mitglied für uns.

Ich hatte noch ein Kleid umzuändern und angesichts dieses Umzugs machte ich mich gleich gestern daran; denn einen Sonntag will ich ja doch zu Ihnen. Einen Sonntag über ist nochmal Waschfest, und die letzten Tage werden noch genug Arbeit bringen. Das Wetter war so unfreundlich und ich hatte Lust zum Nähen. Es war sonderbar, immerfort gingen meine Gedanken zurück zu den beiden Tagen der Woche vorher. Alle Stunden vergegenwärtigte ich mir. Ich denke so gerne daran zurück.

Vor dem Donnerstag bangte ich. Ihnen kann ich es sagen — ehe ich ging habe ich gebetet, um Kraft. Das Bewußtsein, daß auch Ihre Gedanken in diesen Stunden bei mir sein würden, machten mich zuversichtlich. Ich kann nicht behaupten, daß sie Sie erkannte. Sie rührte mit keinem Wort an unsre Begegnung. Ich gab mich unbefangen. Sie war ungewöhnlich gesprächig. Wenn ich sage: Sie ist edeldenkend, so ist das sicher berechtigt. Von ihr wird wohl niemand unser Geheimnis erfahren. Sie wird zu niemandem davon sprechen und diesen Kampf um ihre Liebe mit sich selbst ausfechten. Sie ist stolz. Einer — ihrer Freundin Gerda S. könnte sie sich anvertraut haben. Paarmal [sic] ertappte ich sie beide, wie sie mich unauffällig beobachteten. Natürlich merke ich von alledem nichts!

Das spüre ich deutlich: So lange, gerade und ruhig wie früher kann sie mir nicht mehr in die Augen sehn. Ich habe keine Bange mehr — ich lasse den Dingen ihren Lauf. Ich vertraue meiner Geistesgegenwart, daß sie sich im rechten Augenblick bewährt. Gänzlich unvorbereitet stehe ich ja nicht vor ihnen und wenn die Sache in Taktlosigkeit ausartet — dann kenne ich meinen Weg.

Die Bilder sind doch trotz des trüben Wetters gut gelungen. Eine Aufnahme ist mißglückt — überbelichtet. So wie ich Sie auf dem B[ild]e sehe, habe ich Sie gern. Unser Wagen, ist er nicht fabelhaft? Sie haben ganz recht wenn Sie schreiben, ich sei ein Leckermäulchen, auf einer Aufnahme ist die verflixte Zunge schon wieder draußen!

Ich denke noch daran, was Sie von meinem Kleide sagten. Ich denke auch daran, daß ichs damals ins Bräunsdorf trug, als Sie mir zum ersten Male vorgestellt wurden, als ich das erste Mal gleich ganz nahe bei Ihnen sein konnte, Sie tanzten mit mir. Ich habe Sehnsucht nach Ihnen, jeden Abend wenn ich allein bin und die Gedanken kommen. Etwas macht Ihnen Kopfzerbrechen. Ich möchte sagen: mein lieber, großer, dummer [Roland]. Er weiß sonst immer Rat. Doch wer weiß, vielleicht kann Ihnen jemand helfen?

Gut Nacht! Behüt Sie Gott!

Ihre [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946