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[OBF-390116-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 16. Januar 1939.

Mein lieber [Roland]!

Für Ihren lieben Brief sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Ich freue mich, daß Ihnen der Abschied von zu Hause nicht so schwer würde. Trotzdem nun oft wieder die Einsamkeit bei Ihnen Einkehr halten wird, dachten Sie nicht trüben Sinnes an die Rückkehr.

Zu Ihrer Welt und Wirklichkeit gehöre ich, schreiben Sie. Und ich bin so froh, daß ich es sein darf, die Ihnen Ihre Einsamkeit [e]rtragen hilft — daß ich es bin, die Ihnen Hoffnung gibt, Sie stärker macht und die Tage lebenswerter scheinen läßt.

Ich weiß noch, daß Sie im ersten Briefe schrieben: „Was meiner hier in Lichtenhain wartet, ist mir noch rätselhaft und verborgen; doch ich glaube, daß es zu meinem Besten dient.“ Halten Sie fest an diesem Glauben. Vielleicht hat Ihnen das Schicksal durch Ihre Versetzung nach dort schon ein wenig bewiesen, daß es zu Ihrem Besten geschah? Wie hätte uns in Oberfrohna solche Freundschaft verbinden können?

Ahnte ich damals schon, daß Sie sich sehnten, nach einem verständnisvollen, lieben Kameraden?

Eine klare Antwort auf diese Frage kam ich mir nicht geben. Es war etwas an Ihnen, was ich ergründen mußte — nicht aus Neugier — dieses Etwas zwang mich immer und immer wieder, mich mit Ihnen zu beschäftigen. Ich war noch sehr jung, doch ich sah, daß Ihr Herz einsam war.

Ihnen Freunde machen, Sonne bringen — dieser Wunsch erfüllte mich ganz. Sie waren mir nahe und doch so fern.

Einmal hätten Sie vielleicht erkannt, daß ich Ihnen alle Liebe schenken möchte. — Dann kam das jähe Ende.

Ich konnte Sie nicht für immer gehen sehen — ich hätte das nicht ertragen — und so rief ich Sie, mein lieber [Roland]! Gott hielt seine Hand immer über uns und wir wollen ihn bitten, daß er uns nie verläßt.

Es ist schwer für Sie, in solchen Dorfe warm zu werden, sich wirklich recht wohl zu fühlen. Es kann wohl landschaftlich sehr anziehend sein, kann manches bergen, was die Sinne fesselt.

‚Die Welt ist leer, wenn man nur Berge, Flüsse und Städte darin denkt, aber hier und da eine Seele zu wissen, die mit uns übereinstimmt, das macht uns dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Garten.’ Ähnlich so sagt einmal Goethe.

Und ähnlich gilt das Wort auch in diesem Falle. Viel fester und mit ganzem Herzen hängt man erst an einem Orte, wenn es eine Seele gibt, die uns verwandt ist.

Sie sind sehr verschlossen, Sie können sich schwer jemanden ansch[l]ießen und anvertrauen. Das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf! Vielleicht ist Ihr Wesen von Grund auf gar nicht so. Diese Härte — so kann ich's nennen — trat mit Ihrem Beruf erst in den Vordergrund. Sie wurden an einen Platz gestellt —wirkten da — lernten Menschen kennen, schätzen und auch lieben

Plötzlich griff das Schicksal unbarmherzig ein: Versetzung — vorbei — umsonst. Das macht das Wesen eines Menschen herb und verschlossen. Wenn Sie nun mit diesen Erfahrungen in einen neuen Wirkungskreis treten, fremden Menschen gegenüber stehen, ist es gar nicht verwunderlich, daß Sie sich zurückhalten. Ich glaube[, daß] jeder Mensch, wo er sich auch befindet, sucht das wahre Glück. Junge Menschen lassen sich leicht trügen.

Aber Sie sind reifer — einmal durch Erfahrungen und einmal dadurch: Sie wissen, daß nicht nur Äußerlichkeit zum wahren Glück beiträgt, daß innerer Reichtum wertvoll ist.

Aus dieser Erkenntnis und aus diesem Wissen heraus, gehen Sie mit ganzem Ernste an die große, wichtige Aufgabe, das Glück [z]u finden und zu besitzen.

Ihre Sehnsucht nach einem Heim, daß eine Frau verständnisvoll bereitet, begreife ich voll und ganz.

Es sind nicht viele Frauen, die auch später — trotz der Mutterpflichten — im Heime die anfängliche, trauliche Behaglichkeit atmen lassen. Eine große, verantwortungsvolle Aufgabe ist es, Hausfrau und Mutter zugleich zu sein. Nicht jedes Mädchen ist ihr gewachsen. Es kann ihm erleichtert werden durch ein [l]angsames Hineinwachsen in die künftigen Hausfrauenpflichten, indem sie sich im Elternhause schon damit vertraut macht. Freilich helfen alles Mühen, gute Lehren und Ratschläge wenig, fehlt der angeborene Sinn für Häuslichkeit, Geschmack und Behaglichkeit. Manche kommen vielleicht mit dem Einwande: [„]Ja, dazu gehören auch die nötigen Mittel!“ Man kann auch mit Wenigem eine Atmosphäre schaffen, die trotz ihrer Einfachheit angenehm wirkt und in der man sich wohl fühlt. Vielleicht wohler fühlt, als in einer Umgebung, die mit ihrer Fülle bedrückt.

Das ist meine Ansicht: Eine Frau muß ihren ganzen Ehrgeiz darein setzen, die Behaglichkeit des Heimes nicht zu vernachlässigen. Trotz aller Pflichten und trotz der Kinder; denn die harmonische Gestaltung des Heimes überträgt sich auch auf die Harmonie der Seelen — sie wirkt auf's Gemüt. Man sieht bei anderen Leuten so viele Unarten, die man selbst einmal nicht nachahmen möchte. Wird man das stets durchsetzen können? Ich glaube ja, wenn man den Willen hat, eine Ausnahme zu sein.

Alles Gute finde ich vereint in dem, was ich Ihnen beilege.

Fast nimmt der ganze Brief diese Thema ein, es ist aber auch wich[ti]g und schier endlos.

Mir ist lieber, wenn ich Ihren Brief Sonntags erhalte. Es ist dann wie eine Bestätigung, daß nun wirklich Sonntag ist. Als ich noch nicht arbeitete, begann der Sonntag schon am Tage vorher.

Ich bin nur froh, daß die 12 Nächte vorüber sind. Du liebe Zeit, mein Antrittsbesuch bei Ihnen stellt mir ja ein schönes Zeugnis aus und Sie ließen mich so laufen und jagten mich nicht zurück?

Sie schreiben von einer wilden, widerspenstigen Kranken, die Ihre zarte Handreichung wohl kaum hätte bändigen können?

Das wagen Sie zu behaupten, ohne zu erwägen, daß vielleicht gerade Ihre zarte Handreichung genügt hätte, um der armen Kranken diese verwünschte Schwitzkur zu ersparen? Das sollen Sie mir am Sonntag büßen, Sie .... . Es steht sogar eine sehr strenge Buße für Sie in Ansicht! Jahrgang 1906-1907 werden eingezogen! Ja, was sagen Sie nun?

Wir haben im Kränze unsre Spenden für das Wunschkonzert abgesandt, doch erst am Sonnabend. Morgen, am 17. findet es in Dresden statt, wir werden sicher erst später vermeldet. Wenn Sie's ermöglichen können, geben Sie mal Obacht.

Ich teile Ihnen nun noch mit, wie ich am Sonntag zu fahren gedenke. Ich bitte aber nochmal um Ihr Einverständnis und ob auch Ihre Ankunftszeit mit der meinigen übereinstimmt.

Entweder: Oberfrohna ab 545 [Uhr] - Chemnitz 7 min. Übergang

Dresden an 832 [Uhr]
Oder: Oberfrohna ab 653 [Uhr] [-] Chemnitz etwa 3/4 Std. Aufenthalt

Dresden an E 944 [Uhr]

Nun aber Schluß. Ich hoffe, daß uns gutes Wetter beschert ist und daß es mit meiner Erkältung noch besser wird, als jetzt.

Behüt Sie Gott! Bleiben Sie gesund!

Auf ein frohes Wiedersehen hoffend, drücke ich Ihre liebe Hand ganz fest voll Hoffnung und Vertrauen, mein lieber [Roland] und grüße Sie recht herzlich,

Ihre [Hilde]

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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946