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[OBF-381124-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 21.11.1938.
am Montag.

Liebe [Hilde]!

Ein wenig traurig bin ich heute. Wie flüchtig sind doch ein paar schöne Stunden. Ich möchte gern dem gestrigen Tage nachträumen und mein Herz ausschwingen lassen. Alles ist mir zuwider und stört mich. Ein wenig müde bin ich auch noch. Daß ich allein bin, empfinde ich heute doppelt. Wie weit sind wir voneinander entfernt. Aber das soll uns nicht mutlos machen. 11 schlug es vom Turme, als ich heimkam. Es blies ein frischer Wind. Der Himmel war bedeckt. Ich suchte nach den Sternen — nicht umsonst. Bis Dresden hatte ich ein [g]anzes Abteil für mich — ich war so froh, habe das Licht ausgelöscht und träumte hinaus in die Nacht. Sie hatten sich so schön gemacht für mich — liebe, gute [Hilde] — schon immer, wenn wir uns trafen. Habe ich auch ein wenig Freude und Dank erkennen lassen?

Nun weiß ich erst recht, wie grausam es war, daß Sie am letzten Male so traurig nach Hause fahren mußten.

Ja, stark sind Sie. Eine Anzahl Mädchen habe ich schon kennengelernt, eine ganze Anzahl kennt mich. Ich sehe sie im Kreise um mich stehen und darauf warten, daß ‚er’ auf eine zugeht und ihre Hand nimmt — aber er steht unbeweglich, unentschlossen, rührt sich nicht. Liebt er keine? Kann er gar nicht lieben? Manchmal denke ich es selber. Da tritt ein Mädchen in den Kreis, jung, kühn und tapfer faßt sie seine Hand und führt ihn hinaus aus dem Kreis, wie eine Mutter den Jungen vom Spiel wegholt, ein wenig widerspenstig folgt er ihr. Wird sie ihn besiegen mit ihrer Liebe?

Daß Sie Ihre ganze junge Kraft zusammennehmen und ansetzen, um ein Stück vorwärts zu kommen, und dabei auch den Kampf nicht scheuen, das ehrt Sie und macht Sie mir wert. Ich wäre froh, wenn ich Ihnen wirklich ein wenig dazu helfen könnte. Sie brauchen sich deshalb gar nicht in meiner Schuld zu fühlen. Ich habe dabei selbst schon manches gewonnen, das wichtigste: Meine Wünsche haben eine Richtung, sie gehen nicht mehr ins Uferlose, und meine Phantasie braucht nicht mehr auszuschweifen. Vergangene Nacht — heute ist Mittwoch — habe ich von Ihnen geträumt, ganz unschuldig, es lohnt sich gar nicht, es zu erzählen, nur die Tatsache verdient vermerkt zu werden.

Wenn unsre Freundschaft eines Tages bekannt wird — wir müssen damit rechnen — dann ist die Hauptsache, daß Sie durch alles Gerede nicht irre werden an Ihrer Kraft und an meiner Ehrlichkeit. Dann müssen Sie alle Geister mobil machen, die Ihr Selbstbewußtsein stärken können. Dann dürfen Sie auch ein wenig stolz sein auf Ihre Kraft, Ihren Mut, und darauf, daß Sie mein Vertrauen gewannen. Sie müssen Zudringlichkeiten zurückweisen, sich erhaben zeigen mit über alle üble Nachrede, die Neider beschämen durch Ihre unveränderte Liebenswürdigkeit. Soweit die Abwehr. Zum Angriff übergehend jedoch den Leuten glaubhaft machen und zeigen; ich bin es wert, mehr als ihr dachtet. Wenn ich an den Kreis der Kantorei denke: Den jungen sind Sie tatsächlich über; den älteren sind Sie es durch Ihre Jugend, die müssen sich sagen: es kann aus der [Hilde] noch allerlei werden. Es hat mich gefreut, daß Sie so gute Gesellschaft fanden auf Ihrem Sonntagsausgang. Ob ich überhaupt einmal eifersüchtig werden könnte? Ich glaube ja.

An diesem Brief habe ich fast jeden Tag ein Stückchen geschrieben, von Montag an. Man sieht es daran, daß er so schön (Vorsicht! Eigenlob!) geschrieben ist bis auf diese zweite Seite. Neben mir liegt das Taschentuch. Seit Mittwoch plagt mich ein Schnupfen mit Halsschmerzen. Ich trinke fleißig Salbei. Heute ist es schon ein wenig besser. Ich denke, daß mich die Kinder angesteckt haben. Heute vormittag erreichte mich Ihr lieber Brief, ich hatte noch gar|nicht [sic] damit gerechnet. Am Nachmittag war ich in Sebnitz und habe meine Bilder besorgt. Es ist kein Wetter mehr, um gute Schnappschüsse zu bekommen. Wir müssen die Lichtzeit abwarten.

Ein paar Worte zu den Bildern. Die Nummerierung 13 l [sic] stammt vom Photographen. Zu 1) gut. Zu 2) gut im Ausschnitt, ein wenig verwackelt. Zu 3) Es ist beinahe ein Verhängnis, daß noch kein Bild recht gelungen ist, auf dem wir beide zu sehn sind. Das verunglückte Negativ liegt bei. Bin ich also auf der Hohen Liebe gar nicht zu finden — außer in Ihren Augen. Zu 4) ein wenig schief, die Tante ziert sich, spreizt den Daumen. Zu 5) 6 Personen sind auf dem Bild.

Das lose, böse linke Beinchen steht beinah ein bißchen einwärts!

Zu 6, 7) Die Tante steht zwischen uns, für diesen Tag ein besonderes Ohr Omen. Damit Sie den Verlust meiner Bilder leichter verschmerzen — — — Die beiden Horntiere (richtiger dasselbe zweimal) füllten den Film. Sie kennen das Fleckchen.

Und nun drängt die Zeit zum Schluß: Noch ein wenig Schularbeit, dann noch rasch ein paar Sachen packen, morgen will ich ja doch [n]ach Hause. Am Montag war mir unsre nächste Begegnung noch so endlos weit, jetzt steht sie schon näher. Verleben Sie einen recht schönen Adventssonntag mit Ihren Eltern. Beim Blick in das erste Licht wird in unsern Augen bei dem himmlischen Glanz und Schimmer dieser Adventszeit der Schimmer uns[e]rer irdischen Hoffnung stehen. Ich werde oft an Sie denken, liebe [Hilde]. Bitte grüßen Sie Ihre Eltern.

Ich drücke Ihre liebe Hand in Hoffnung und Vertrauen und grüße Sie recht herzlich,

Ihr [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946