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[OBF-381117-002-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 17. November 1938.

Liebe [Hilde]!

Vielen Dank für Ihre Briefe. Seit ich mir überlegt habe, wie wenig Zeit Ihnen bleibt, einen Brief zu schreiben, ungestört zu schreiben, rechne ich Sie sie [sic] Ihnen doppelt.

Was Sie abends fortschicken, erreicht mich regulär am übernächsten Tag früh. Wenn ich es abhole, wie heute, Nachmittag des nächsten Tages. Eben lese ich aus dem Stempel, daß Sie den Brief erst heute morgen in den Kasten gesteckt haben, jetzt ist er schon in meinen Händen. Ihre Karte lag auf meinem Tisch, als ich gestern abend gegen ¼ 8 zurückkehrte. 8 Stunden lag ich auf der Bahn, trotzdem brachte die Reise inneren Gewinn. Wenn man Abstand nimmt von einer Arbeit, sieht man manches mehr und anders als aus der Nähe. Der Wechsel des Ortes, des Schauplatzes, macht mich schnell innerlich frei und locker. Das beobachte ich schon bei dem Wechsel von Schule und Zuhause. Ich fand in Großröhrsdorf Vater und Mutter, Bruder, Schwägerin und deren Mutter. Es waren ein paar Stunden schönsten Verstehens und Austauches, ich wurde mir der starken Bande von Familie und Verwandtschaft recht froh bewußt, habe im Geiste immer auch Sie einmal in diesen Kreis gestellt und probiert, ob Sie darein passen. Ich gönnte Ihnen von Herzen, einmal in diesem Kreis zu weilen, Sie würden mich dann ein gut Stück besser kennen. Innerlich gestärkt und gefestigt — das tut so not gerade wieder in diesen Tagen politischer Auseinandersetzungen — kehrte ich heim. Am Vormittag besuchte ich den Gottesdienst. Das Großröhrsdorfer Gotteshaus ist vor 2 Jahren großzügig und streng im Stil des Barock, in dem es erbaut wurde, erneuert worden. Es ist ein recht würdiges Haus, das zur Andacht stimmt. „Seid ehrlich gegen euch selbst! Ändert euren Sinn!” Diese Mahnungen treffen den Menschen immer wieder, der an sich arbeitet. Am Dienstag bekam ich wieder eine Karte von Dora P., vielleicht war sie deshalb so froh gestimmt, ich war es nicht. Ich zeige Ihnen die Karte und spreche mit Ihnen davon.

Auf der Bahnfahrt nach Schandau saß mir schräg gegenüber im Halbdunkel ein Mädchen mit feinem, schmalem Geschicht, unter ihrem Hut schaute sie dunkel und sehnend zu mir herüber. Im Zuge nach Pirna saß mir auf 6 m Entfernung wieder ein junges Mädchen gegenüber, ihr Gesicht war breiter, aber nicht häßlich, sie spielte mit ihren wohlgeformten starken Beinen. Und ich habe mich nicht weggesetzt, obwohl ich es gekonnte hätte. Ich war schwach und habe Sie streng genommen damit gekränkt. * Darf so eine Freundschaft für das ganze Leben beginnen? Und wieviel beginnen heute nicht so! Die Männer sind nicht allein daran schuld. Ein gut Teil Schuld trägt die Mode daran, daß man unsicher wird in seiner Wahl, unsicher in den Dingen erster Zuneigung und Liebe. Auch ich bin es. Die Nachkriegszeit, die wir als junge Leute erlebten, diese lockere, lose Zeit, hat viel Verwirrung und Unheil gebracht. Ich werde allezeit dankbar des Mädchens gedenken, daß allein damit, daß es dawar [sic], mich wieder auf die rechte Spur brachte, weil eine große Seele aus ihm leuchtete. Alle Menschen, denen wir begegnen, stehen nicht umsonst da. Und auch unsere Freundschaft ist für mich eine Lehre für das Leben. Sie haben diese Freundschaft gestiftet. ^ Sie haben größere Sicherheit und ein besseres Gefühl in Dingen der Liebe, Sie gehen sichrer und weniger angefochten, ich glaube es und vertraue darauf. Und mir geht es Ihnen gegenüber so — vielleicht allen Mädchen gegenüber, wenn ich mich ihnen ernsthaft nähern müßte — ich kann nicht lieben und nehmen, wo ich nicht schätze und werthalte, und so muß es sein, Leib und Seele müssen sich finden.

Nun zu unserem Treffen: Ich werde mir eine Stunde Urlaub erbitten und kann dann entweder 1422 [Uhr] oder 1600 [Uhr] in Chemnitz sein. Sie werden mit dem Zug, Oberfrohna ab 1435 [Uhr], fahren

———
^ Sie begann unter guten Vorzeichen.
* Hier müssen Sie sich eine lange Pause denken, sonst verstehen Sie es falsch.


und mich im Wartesaal 2. Klasse entweder schon vorfinden oder erwarten. Herzlichen Dank für Ihre guten Wünsche. Die Fahrt nach Chemnitz hat mir immer gefallen. Ich trete sie zum ersten Male wieder an. Immer wieder bin ich gespannt auf unsre Begegnung. Wir sind nie dieselben, wenn wir uns widersehen.

Ich verspüre Lust, Künneke's Operette anzusehen. Verfolgen Sie nur auch die Konzertanzeigen.

Und nun spüre ich selbst, daß ich wieder aufgeschlossen bin Ihnen gegenüber, und Sie werden es spüren, es braucht kein Schatten über unsre Begegnung zu liegen. In 48 Stunden habe ich sie wieder neben mir, die liebe, gute [Hilde] — das darf ich schon sagen in aller Freundschaft, trotz allem — doch nein, nicht vorweg [s]o laut freuen.

Schätzen Sie dankbar die Sorge und Fürsorge Ihrer Eltern, bitte bestellen Sie herzliche Grüße.

Nun bleiben Sie gesund und seien Sie recht herzlich gegrüßt auf ein frohes Wiedersehen,

Ihr [Roland].

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Ba-OBF K02.Pf1_.381117-002-01a.jpg Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946