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[OBF-381104-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 2. Nov. 1938

Liebe [Hilde]!

Heute ist Mittwoch, der Wochentag, auf den ich mich sonst freue. Um 11 Schulschluß, und dann kann ich mit mir und Ihnen allein sein. Heute habe ich mich gefürchtet vor diesem Tag. Der Himmel ist wieder grau. Die trüben Gedanken kommen wieder und die böse Erinnerung plagt mich. Nach 12 habe ich eine Viertelstunde still gelauscht und wurde etwas ruhiger, weil ich den Brief in Ihrer Hand wußte. Aber nun kommt die Unruhe wieder über mich. Ich will mich auslaufen, nach Schandau. Aber die trüben Gedanken werden mitgehen. Der Gedanke macht mich ganz unglücklich, daß wir die böse Erinnerung erst in 4 Wochen auslöschen sollen. Wollen wir uns nicht nächsten Sonntag treffen? Dieser Gedanke nur kann mich trösten.

Und so bin ich 3/4 3 nach Sebnitz gefahren, um Geld zu holen. Meine Gedanken gehen noch wild durcheinander. Zu Hause will ich mich hinsetzen und etwas niederschreiben. Dann will ich Ihre Briefe lesen.—

Ich habe Ihnen wehgetan. Sie sind ganz ohne Schuld. Ich ärgere mich darüber, daß ich gestern schrieb: „Ich will noch lange Geduld haben.” Ich habe noch gar nicht Geduld mit Ihnen haben müssen. Sie sind so gut von selbst gefolgt.—

Nun sitze ich vor dem Spiegel. Es ist so fürchterlich still und einsam. Ich mag die Vorhänge nicht herunterziehen.—

Jetzt ist mir wieder besser und wohler: Ich habe die ersten 13 Ihrer Briefe gelesen. Wer soviel Kraft und Geschick hat, diese Briefe zu schreiben, der hat sie leicht zu vielem andern. Viel besser und gedankenvoller sind sie als die von Goethes Frau. Es ist schwerer, Briefe schreiben als Briefe reden.—

Was ich da so albern daherschreibe.

Ich habe Ihnen wehgetan. Ich glaube, es war mir eine Ohnmacht, ein Unfall, ich bin gestolpert wie auf dem Weg zur „Hohen Liebe”. Ich war ehrlich. Kann Sie das ein wenig trösten?—

Warum bin ich eigentlich noch traurig? Die Lage ist doch sehr klar. Wir haben unseren Vertrag, und der läuft noch lange: Wir wollen einander prüfen und nur dann erklären.

Habe ich den Vertrag gebrochen? Nein, bitte, nein! Er soll noch gelten, eine kleine Unstimmigkeit darf ihn nicht ungültig machen. Gute Nacht, liebe [Hilde]!

 

Donnerstag, d. 3. Nov

Liebe [Hilde]!

Endlich sind meine Gedanken frei für Sie. Donnerstag ist ein strammer Tag. Bis um 4 Unterricht, heute anschließend noch eine Dienstbesprechung. Mit Ungeduld habe ich au[f] das Ende gewartet.

Ich komme immer wieder auf unsre Begegnung zurück. Ich will mit den vielen Worten nicht mein Unrecht zudecken oder hinwegreden. Ich möchte nur erklären, wie es kam. Bitte helfen Sie mir dabei.

Ich tat Ihnen ja nicht weh mit kalter Berechnung oder Überlegung. Es war ein Gefühl, die Sorge, die mich selbst schmerzte und überwältigte, und dazu gesellten sich Schmerz u. Kummer um Sie, Gute.

Das Jahr meines Musikstudiums hat für mich eine Erinnerung, deren ich mich heute noch schäme. Mein Klavierlehrer gab mir ein Werk auf, den 1. Satz des Klavierkonzertes in G-dur von Beethoven, das meine Kräfte bei weitem Überstieg [sic], meine Fingerfertigkeit reichte dazu nicht aus. Ich spürte das nach den ersten Wochen des Studiums an diesem Werk und sagte das auch meinem Lehrer. Er bestand darauf, daß ich es weiter studierte. 4 Monate habe ich daran geübt, ich konnte es dann auswendig, aber es lief und perlte nicht, meine Hände ermüdeten dabei. Nun sollte ich es auch noch vor größerem Kreis vorspielen. Ich sträubte mich, wie ich konnte — vergebens, der Lehrer bestand darauf. Nun hätte ich krank machen können, das brachte ich nicht über mich. Und so spielte ich denn — und blieb stecken einmal, zweimal —, wie habe ich mich geschämt!

Warum ich das erzähle?

Ich weiß nicht, ob meine Erklärung ganz richtig ist: Es ist, als hätten Sie auch zu zeitig Probe stehen müssen. Ich habe das nicht gewollt. Ich habe nicht gewußt, daß Hoffmanns Schwiegersohn kommt, erst recht nicht, daß Verwandte mich besuchen. Sie kennen meine Ansicht: Wir müssen die zarte Pflanze unsrer Verbindung schützen vor dem Frost der Vorurteile und der Kälte zudringlicher Blicke.

Sie werden mich verstehen, Sie Gute, auch wenn es nicht ganz richtig ist. Ich warte sehnsüchtig auf Ihre Zeilen. Morgen, denke ich, werde ich sie in Händen halten. Von unten herauf dringen die Klänge einer Tanzmusik. Sie würden den Tanz kennen. Die gestopfte Trompete klagt sehnend weit in die Ferne mit ihren zarten Glastönen. Gute Nacht, liebe [Hilde]!

 

Freitag am Abend.

Liebe [Hilde]!

Endlich habe ich Ihren Brief. Heute nachmittag habe ich ihn von der Post geholt. Ich danke Ihnen so sehr, daß Sie mich nicht stehen ließen. Bleiben Sie stark in Ihrer Liebe und im Glauben an Ihre Liebe, dann müssen Sie meine Zweifel besiegen. Lassen Sie mich nicht so leicht los. Ich stehe wundernd vor Ihrer Liebe, vor dem Schicksal Ihrer Liebe, ich fasse sie noch nicht ganz, aber ich weiß, daß sie etwas ganz Seltsames ist, ich werde ihr in meinem Leben nie wieder begegnen. Kein Dank reicht hin, sie zu vergelten. Liebe kann nur mit Liebe vergolten werden.

Wenn Sie mir nur wieder ganz vertrauen könnten. Der Weg zur Hohen Liebe soll uns Gleichnis sein, das uns mahnt u. tröstet: In treuer, geschwisterlicher Kameradschaft wollen wir einander tragen, stützen und helfen, wenn es steil bergen geht, Sie mit Ihrem Glauben und Ihrer Liebe, ich mit dem ernsten, ehrlichen Bemühen, Sie zu verstehen, mit der Sorge um unsern Weg zum Ziel, von dem wir beide glauben, daß es bei Gott beschlossen ist. Weinen Sie nicht mehr, liebe [Hilde].

Von dem Plan einer Begegnung am kommenden Sonntag bin ich abgekommen. Ich bin wieder ruhiger und kann es nur sein, weil ich spüre, daß Sie es auch sind. Es soll wieder sein wie früher. Die Begegnung am Sonntag wäre etwas Außergewöhnliches. Damit die 4 Wochenabstände eingehalten werden, denke ich daran, daß wir uns (abweichend von meinem urspr. Plane) am 19. u. 20. Nov. treffen. Das ist schon in 14 Tagen. Heute habe ich es übernommen, für einen verhinderten Kollegen einen Schülertransport zum Theater nach Dresden zu begleiten. Wir besuchen im Schauspielhaus die Vorführung „Wilhelm Tell". Abfahrt Sonntag vorm. 1/2 11 Uhr. Suchen Sie auch eine gute, anregende Zerstreuung.

Möchten Sie aus diesen Zeilen entnehmen, daß ich mich mühe, ehrlich und aufrichtig zu sein. Möchten Sie dann neues Zutrauen fassen. Möchte diese Gewißheit Ihnen ein Ansporn zu neuer Liebe sein: Ich werde Sie nicht betrügen, ich könnte es nicht; meine ganze Sorge gilt unserem Wege. Bitte grüßen Sie Ihre Eltern. Gott mit Ihnen.

Es grüßt Sie in Dankbarkeit recht herzlich

Ihr [Roland]

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Einordnung
Vier Personen posieren vor dem Eingang einer Sattlerei, darunter Hilde und Roland Nordhoff, die beide in die Kamera blicken.

Ba-OBF K01.Ff1_.A13, Hilde und Roland Nordhoff mit Bekannten, 1938, Lichtenhain, Fotograf unbekannt, Fotoausschnitt.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946