Bitte warten...

[OBF-381101-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 1. November 1938.

Liebe [Hilde]!

Bis zum Sonntag kann ich Sie nicht warten lassen. Bei meiner Rückkehr schienen die Sterne, nach denen Sie auf dem Bahnhof vergebens ausschauten, und heute ist heller Sonnenschein. Möchten es gute Zeichen sein! Die dunkelsten Schatten kommen da nicht auf. ½ 12 [Uhr] bin ich zu Bett, zu der Zeit, da ich auch Sie zu Hause wußte. Ich habe gebetet, für Sie um Kraft, für mich um Geduld und Zuversicht. Darauf habe ich bis früh 5 fest durchgeschlaffen. Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke, daß ich Sie allein so traurig in die dunkle Nacht mußte zielen lassen, Sie Ärmste, Gute; daß ich Ihren so schwer verdienten Urlaub verbittern mußte, Sie Armes, Gehetztes. Ich war so schwach und mutlos. So schnell konnte ich vergessen, daß wir uns doch schon so gut verstanden haben!

Wie konnte das so kommen?

Wir sind sonst so froh miteinander gewesen.

Ich glaube, daran lag es: Es waren zuviel Aufpasser, zuviel zudringliche Blicke, zuviel Zuschauer. Das hat uns beide unsicher gemacht. Wir wollen eine Lehre daraus ziehen. Unsre Verbindung erträgt das noch nicht.

Zu meinem eigenen leisen Zweifel kam, daß ich 3 Tage schlecht geschlafen habe, das böse Buch, der Besuch: die Tante ‚Schwester’ ist so lieb zu mir und besorgt um mein Schicksal, und als sie, auf unsre Verbindung anspielend, beim Abschied sagte: „Alles Gute”, da erhob sich diese Sorge dunkel und drohend und übermannte mich.

Und nun möchte ich Sie trösten und dazu gar keine anderen Worte brauchen, als die ich schon gestern fand. Ich will Ihnen noch lange helfen. Ich will lange Geduld haben. Sie sind ja noch so jung, Sie wachsen noch, Sie haben noch viel Zeit. Sie haben viel Kraft. Sie hat sich schon bewährt in Ihrer Treue, ich habe sie gestern gespürt: Sie behielten die Fassung; aus Ihren Augen leuchtete am ersten [sic] wieder die Zuversicht; sie hatten auch noch Kraft übrig, mich zu trösten. Wir kennen uns ja noch nicht lange. Es verbinden uns noch zu wenig gemeinsame Erlebnisse. Unsre Welten sind ja so verschieden! Und ich möchte Sie Ihrer Kraft mit Ihren eigenen Worten gewiß machen: „Was nützt dem Menschen eine Hoffnung, wenn sie im Geheimen nicht doch eine Gewißheit wäre?” Bitte, bitte lesen Sie in den Briefen alle Stellen, die Ihnen Hoffnung machen können. Bitte verzeihen Sie [mir] mein Schwanken und Zweifeln und schenken Sie mir weiterhin Ihr volles Vertrauen, entziehen Sie mir nicht Ihre liebe Hand! Bitte schreiben Sie mir ein paar Zeilen, die auch meine le[t]zte Sorge und Traurigkeit wegwischen können.

In alter Freundschaft drücke ich Ihre Hand ganz fest und dankbar und grüße Sie recht herzlich. Gott mit Ihnen!

Ihr [Roland].

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Einordnung
Hilde und Roland Nordhoff stehen mit drei weiteren Personen vor einem Wohnhaus am Gartenzaun an einer Straße.

Ba-OBF K01.Ff1_.A11, Hilde und Roland Nordhoff mit Verwandtenbesuch, 1938, Lichtenhain, Fotograf unbekannt.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946