Bitte warten...

[OBF-381027-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 27. Okt. 1938
27.10.

Liebe [Hilde]!

In der Namenfrage beuge ich mich gern Ihrer Entscheidung. Ich hatte Sie Ihnen ja zwischen den Zeilen zugeschoben. Ich höre meinen Namen selten rufen. Zu Hause sagt man meist „Großer, Großel.” Es wundert und freut mich doch, daß Sie an dem soliden, altväterischen Namen Gefallen finden. Es wird ein besonderer Augenblick sein, wenn er zum ersten Male von Ihren Lippen kommt.

Die Wochen rollen wieder. Und sie sollen rollen bis zum Sonnabend, 17 Uhr 26; dann mag die Zeit ein wenig stille stehn. Ich habe mich in die Arbeit verbissen, damit ich Ungeduld und Erwartung dämpfe. Bisher haben wir uns regelmäßig aller [sic] 4 Wochen getroffen, diesmal liegen 5 dazwischen. Mir ist die Zeit nicht so lang geworden, weil die Ferien dazwischenfielen; aber Sie, armes, gehetztes Rehchen! Der Urlaub ist Ihnen gern gewährt. Also Dresden Hbf. 1726. Nun denken Sie diesmal dran: Oben auf der Brücke stehe ich, schon 17 Uhr, und warte, warte voll Ungeduld.

Sie kommt wieder! Geht durch meine Tür; steht an meinem Fenster, das große, schlanke Mädchen an meinem niedlichen Fenster, in meinem niederen Zimmer; sitzt neben mir auf meinem Sofa! Es ist ja schon so lange her.

Die L.er waren natürlich sehr neugierig gewesen. Sicher würde ich mehr darüber erfahren, wenn ich darauf hörte und darnach  fragte, aber das tue ich nicht. Frau H. erzählte nur, daß man sie gefragt hat. „War wohl seine Braut?” usw. Der Kollege, der sich sonst auch sehr dafür interessiert, war damals eingezogen, vor dem hatte ich Ruhe.

Ist doch merkwürdig, daß manche verheiratete Männer so erpicht darauf sind, ledige zu foppen und zu verkuppeln. Mir ist es stets ein Zeichen von Unbildung und schlechten Geschmacks. Man sagt auch, das sei Neid und sie gönnten nun anderen dasselbe Mißgeschick, das sie selbst erfahren haben. Ein hartes Wort. Mag doch manchmal ein Körnchen Wahrheit dabeisein; es bleibt nur zu entscheiden, wer der schuldige Teil ist. Die Männer sind natürlich immer der unschuldige Teil, nach ihren Reden. Ich mag solch albernes Gerede nicht und lasse mir davon erst recht nicht den Kopf verdrehen. Da bin ich schon wieder beim Eheproblem. Männer grübeln, spintisieren, philosophieren, spekulieren, theoretisieren gern. Das ist meist so unpraktisch wie die Wörter für diese Schwäche und Eigenart. Und es würde sich nicht lohne[n,] daß Sie sich darüber erbosen oder etwas zu Herzen nehmen. Theorie und Praxis. Sie verstehen, was ich meine. Ein griechischer Philosoph, ich glaube Sokrates, der gewiß seinen ganzen, großen Verstand zu Rate zog, geriet an die Xanthippe. Dieser ‚schlechte Handel’ ist in die Geschichte eingegangen. Xanthippe nennt man nun heute noch jedes zanksüchtige Weib (Drachen). Die Wirklichkeit ist doch so: Haß und Liebe sind Mächte und Tatsachen, die die Welt bewegen, so wie Geburt und Tod, Erde und Sonne. Der eine fühlt sich hingezogen zum ander[e]n Geschlecht, verheiratet sich glücklich oder unglücklich, das ist sein Schicksal, und kein noch so gelehrtes Gespräch kann ihn davon befreien. Der andere ist sich selbst genug, ein Einzelgänger, er mag Bände füllen mit dem Lob der Vorzüge seines Lebens, er wird nichts ändern, er kennt das Sehnen nicht.

Aber, so wie der Mensch in manchen Stunden über sich selbst nachdenkt, gleichsam als sein eigner Zuschauer; so wie man über das Verhältnis von Erde und Sonne viel Interessantes und Wissenswertes zu sagen vermag: so darf man auch einmal gleichsam als Unbeteiligter, Unparteiischer (in Wirklichkeit gibte es das nicht) über dem Problem Ehe grübeln.

Es führt zu keinem Ende.

Wer zuviel erwartet, wird leicht enttäuscht.

Wer zuviel träumt, muß eines Tages ernüchtert erwachen.

Ich habe meinen Wirklichkeitssinn: Der sagt mir: Mann und Weib sind verschiedener Art, es gibt zwischen ihnen Grenzen des Verstehens, ein Rest von Nichtverstehen wird immer bleiben. Wäre es anders, gäbe es keine Spannungen zwischen beiden, gäbe es nicht Zuneigung und Abneigung. Den Rest des Nichtverstehens zu decken ist die Liebe schnell bereit. Gerade das Anderssein, das Rätselvolle, Unergründliche — es ist am Weib so vieles rätselhaft und wunderbar — das bewundere und liebe ich, ich möchte es gar nicht ganz verstehen. Hätte ich die Wahl: Willst du geliebt oder ganz verstanden sein?, ich würde ohne Zögern sagen: Liebe mich! Genug davon heute.

Wenn Sie packen: das Textbuch. Bringen Sie doch auch die Aufzeichnungen zu Ihrer Ahnenforschung mit!

Frau H. finden wir so ab: Sie geben mir 1 M; 1,50 M.

Das lege ich mit hin, wenn ich die Rechnung glatt mache und sage: „Das von meinem Fräulein”. Ich weiß, so ist es ihr am liebsten, so ist sie es auch gewöhnt von den Sommergästen.

Auf meinem Konzeptblock steht noch etwas, das ich am letzten Male zurückstellen mußte. Ich trage es nach und schließe damit.

Gönnen Sie sich ein bißchen was nach 6 grauen Alltagen! Die Treue ist eine Tugend, in der sich vor allem der Mann bewähren soll. Sie haben mit Ihrer Beständigkeit und Treue gezeigt, daß ich Ihnen Unrecht tat, Sie für leicht zu halten.

Ich schulde Ihnen großen Dank. Sie ist umso höher zu werten, wenn ich das bedenke: Sie sind noch jung, Jugend hat raschen Sinn. Wir sehen uns so selten und sind so weit voneinander. Lange Zeit haben Sie über Hindernisse und Enttäuschungen Treue gehalten.

Ich kann auch treu sein. Ich sehen noch manchmal nach anderen Mädchen, ich freue mich einer schönen Gestalt, eines hübschen Gesichtes. Aber ich bin ein nasser Schwamm, der nicht so leicht Feuer fängt. Meine Sehnsüchte und Wünsche irren nicht mehr richtungslos umher, sie gehen zu dem Mädchen aus dem Westen.

Schenken Sie Ihren Eltern ein paar dankbare Blicke und grüßen Sie bitte.

Bleiben Sie gesund, reisen Sie glücklich.

Es grüßt Sie auf ein frohes Wiedersehen recht herzlich

Ihr [Roland].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946