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[OBF-381025-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 25.10.1938.

Lieber [Roland],

Wenn ich ehrlich sein will muß ich gestehen, daß ich Ihren Vornamen unzählige Male schon niedergeschrieben habe. Ein weißer Bogen Papier, vollbeschrieben mit dem Namen [Roland]. Mir tat es immer leid, wenn ich diesen Bogen dem Feuer übergab. Als Kinderei kann man das wohl bezeichnen; doch meine Gedanken waren dabei andrer Art.

Sage ich einen Namen vor mich hin, so löst er bei seinem Klang irgend eine Empfindung bei mir aus. Es kann z.B. vorkommen, daß ich beim Klange eines mir unsympathischen Namens, den Träger desselben schon mit diesem Gefühl abschätze, bevor ich ihn kennenlerne. Es is unrecht, handle ich immer so — doch gerade bei Mädchennamen hat sich das bewiesen. Der Klang des Namens paßt sich oft dem Wesen an. Ich denke dabei an die moderne Umnennung, oder Verkürzung eines von Grund auf soliden Namens. Man hört sowas Leichtes, Flattriges — sieht die Person und denkt sich allerlei.

Die Empfindung, die ich beim Nennen Ihres Namens hatte?

Sie sind der erste Mensch, dem ich die Gedanken darüber anvertraue, als ich zum ersten Male Ihren Vornamen las.

Sie werden sie nicht als Backfischschwärmerei auffassen.

Die Namen aller Menschen, die ich um mich habe, sind als Saiten angebracht auf einer Harfe. Jede berührt mich bei ihrem Klang auf andre Art. Höre ich aber den Ton einer ganz bestimmten Saite, dann ist mir, als schwingt sie leise, ganz bis in meinem Herzen fort. Vor meinem geistigen Auge sehe ich dann einen Menschen, den Träger dieses Namens — ich könnte mir ihn mit einem anderen Namen nicht vorstellen.

[Roland]! Das klingt dunkel und voll, gut, warm und männlich. Ich kann Ihre Ansicht, er sei steif und feierlich, nicht teilen. Er umschließt für mich alles.—

Ein schwerwiegendes Gespräch führten Sie mit Herrn Pastor B.. Es war nicht ohne Interesse für mich, diese verschied[en]en Meinungen darüber kennenzulernen. Trotzdem ich mir nicht getrauen würde mitzureden, mit meiner so geringen Erfahrung. Um mit Überzeugung diese Standpunkte zu vertreten, dazu gehört schon etwas mehr Lebensweisheit. Ich verstehe Herrn B. nicht recht. Hört man aus seinen Äußerungen nicht einen gehörigen Schuß Egoismus heraus? Wenn er seine Abneigung gegen das Weibliche offen bekundet indem: „Ich werde nicht heiraten.”  Angeblicher Grund, die Unbrauchbarkeit des Weibes auf geistigem Gebiete — oder besser vielleicht, das Nichtfolgenkönnen in seine Welt.  Schauen Sie, spreche ich das so bestimmt aus, so ist auch mein Inneres davon überzeugt. Die Angelegenheit ‚Frauen’ ist somit beseitigt — vollkommen interesselos für mich.

Seine Meinung widerspricht aber seinem Benehmen. Wie oft sah ich ihn schon mit weiblichen Wesen im Gespräch stehen, oder des Weges kommen. Es mag sein, daß dies um seines Berufes willen geschah. Und wieder zu einer anderen Person spricht er, daß er wohl gern heiraten möchte, doch die Mädchen seien zu vergnügungssüchtig. Soweit ich ihn kenne, glaube ich nicht an seine Meinung, Ihnen gegenüber. Was nutzt dem Menschen eine Hoffnung, wenn sie nicht im Geheimen doch eine Gewißheit wäre? Lassen Sie ihn erst mal sein Ideal finden — und dann kommen Sie noch einmal mit ihm auf das Gespräch zurück. Es muß nicht sein, daß wir die Seele des Herrn B. ergründen. Vieles kann man besser mündlich ausmachen — wir kommen sicher nochmals darauf zurück.

Eine große Änderung ist bei uns zu Haus eingetreten, doch das erzähle ich Ihnen. Am Sonntag hab ich den ganzen Tag gearbeitet, ein wenig geschneidert, Strümpfe gestopft und gestickt. Luise war bei mir. Nach dem Kaffee gingen wir ein Stück an die Luft. Schon nach einer knappen Stunde hatte das arme Mädel blaugefrorene Wangen und eine rote Nase bekommen. Ihr zuliebe bin ich rasch wieder mit heim. Es ist auch heute noch so kalt draußen; ich werde am Sonnabend den Pelzmantel anziehen. Sie müssen sich auch warm anziehen; es wird spät, ehe wir ,nach Hause’ kommen und die Nächte sind kalt, man sieht es am Reif, der morgens auf den Dächern liegt. Wie ich mich freue, daß ich nun bald bei Ihnen bin. Gestern besorgte ich das Textbuch, [siehe Ausschnitt aus dem Brief] es wird sehr schön werden in der Oper. Bei Verwandten las ich schon mal flüchtig aus dem Buche, die „Kameliendame”, ist mir also nicht unbekannt.


Ich staune, wie oft wir die gleichen Gedanken haben. Donnerstag muß die Singstunde ausfallen, dafür ist am Sonnabend abends Probe in der Kirche. Mein Plan war fertig, als ich das hörte. Um der Fragerei zu entgehen, rief ich auf dem Heimweg Herrn G. beiseite, um meinen Urlaub einzuholen. Erst redete er eine Weile herum, sah aber ein, daß mein Kommen unmöglich sei, nachdem ich ihm sagte, daß ich wegfahre. Etwas fiel mir auf beim Verabschieden, er behielt meine Hand länger als sonst und sah mir dabei fest in die Augen. Oder bildete ich mirs nur ein? Na, ich werde sehen, was weiter geschieht — ich glaube nicht, daß er schon etwas weiß.—

Mein einziger Traum von Ihnen: Es war Nacht und ich ging nach der Singstunde die neue Straße entlang, die von der Schröderstraße abzweigt — immer schräg weiter nach der Oststraße zu. Dann vesperrten mir viele Sträucher den Weg, das Laub lag hoch am Boden. Ich sah das Haus, zum Greifen nahe — Ihr Fenster erleuchtet und offen. Sie, [sic] saßen am Tisch über ein Buch geneigt; abwesend. Ich stand lange dort — wußte mich Ihnen so nahe, nur das Gesträuch trennte uns. Mich fror und ich blieb doch wie gebannt stehen. Plötzlich sahen Sie auf, Ihr Blick fiel auf mich. Ein Leuchten ging über Ihr Gesicht, so wie ichs manchmal beobachtete. Im nächsten Moment standen Sie hinter den Sträuchern, bogen die Zweige auseinander, ganz leicht und sagten: „Du kommst zu mir.” Nichts weiter. Dann war Ihr Gesicht dem meinem ganz nahe — ich bekam wildes Herzklopfen und wachte auf. Bis zum Morgen lag ich wach, lange verfolgte mich dies Bild. Es heißt ein Wort: Auch der süßeste Traum hat etwas Quälendes. Ich bin jetzt bis 6 Uhr im Geschäft. Die Kirmes ist auch am Sonntag und es sind außer den sonstigen Aufträgen so viele Einzelbestellungen zu erledigen, alles eilt. Ich muß am Sonnabend bis Schluß mithelfen. Um 1/2 1 Uhr bin ich daheim, in einer Stunde fährt der übliche Zug. Mir wäre lieber, könnte ich erst mit dem nächsten fahren. D Zug, Ankunft Dresden 1726 [Uhr], ich bitte um Ihr Einverständnis. Bleiben Sie recht brav, damit schönes Wetter wird. Nun Gott mit Ihnen!

Seien Sie bis zum Wiederseh[e]n recht herzlich gegrüßt von

Ihrer [Hilde].

Viele Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946