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[OBF-381017-002-01]
Briefkorpus

16.10.38.

Oberfrohna, am 17.10.1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Einen ganz seltenen Weg hatte diesmal Ihr Brief zu gehen, ehe ich ihn lesen konnte. Am Sonntagmorgen um 8 Uhr war bei uns Luftschutzübung — ‚Fliegeralarm’. Eine Prüfungskommission, bestehend aus 6 Herren, durchstöberte das Haus vom Keller bis zum Boden. Herr Lehrer G. als Anführer, blies gewaltig in seine Trillerpfeife, das war das Signal: „Alles was laufen kann, runter in den Schutzraum!″ Dieser Betrieb im Treppenhaus. Als ich um die Ecke rennen will, kommt der Briefträger — lachend, er möchte mir noch was Schönes mitgeben auf den finstern Weg. Er war vielleicht froh, daß er sich diesmal den Weg bis zu unserm Briefkasten ersparen konnte und ich — bin so rot geworden. Die Herren guckten einander vielsagend an und lachten. Den Brief wegnehmen, runter in den Keller, das war eins. Dort hab ich ihn erst mal im Kleidausschnitt verstaut und aufgeatmet.

Die Übung klappte, wir bekamen sogar ein Lob und die Ermahnung, wir möchten uns auch alle im Ernstfalle so gut bewähren. Der Kursus, welcher vergangene Woche stattfand, währte nur 3 mal abendlich 2 Stunden, also Schnellausbildung.

Dienstag, erster Abend: Sprecher Herr Lehrer G.. Über verschiedene, feindliche Luftangriffe und deren Folgen, Unterschiede der Bomben, die Einwirkung der Kampfstoffe auf den Menschen und die Gegenmaßnahmen; die Gasmaske. Eine Laienhelferin spricht über die Vorzüge einer Luftschutzhausapotheke, führt Notverbände praktisch vor.

Donnerstag, zweiter Abend: Sprecher Herr Baumeister H.. Über die Notwendigkeit eines Schutzraumes, seine Beschaffenheit, alles dazu verwendbare Material; durch die Zeichnung eines Grundrisses an die Wandtafel, wurde uns dies gut verständlich gemacht. Schornsteinfeger Sch. spricht über Brandverhütung und -bekämpfung, Nützlichkeit und Anwendung verschiedener Gerätschaften.

Sonnabend, dritter, schönster Abend: Sprecher Herr G.. Über wichtige Verhaltungsmaßregeln bei Fliegeralarm, die Stellung der Hausbewohner zu ihren angewiesenen Posten. Unter Anleitung eines Feuerwehrmannes gings dann hinaus auf den Korridor zur Übung. Sie wissen doch Bescheid in unsrer Schule? Vorn an der Tür des Zeichensaales standen die „Schüler” versammelt.

Freiwillige vor! Zum Löschen eines angeblichen Brandes, der im Hintergrunde (beim Nadelarbeitszimmer) aus roter Pappe markiert, loderte. Das war was für mich. Zusammen mit einer früheren Klassenkameradin stiegen wir jede in eine Feuerwehruniform, dann gings los. Auf dem Bauche kriechend, den Kopf so tief wie möglich und die Spritze in der Hand haltend heranarbeiten, an den Brandherd. Auch die Männer mußten das; einen unbändigen Spaß haben wir dabei gehabt. Was werden Sie blos [sic] von mir denken? Aber ich hab mir gesagt: „Lerne in der Zeit, dann kannst Du's in der Not!” Unten auf dem Hof bildeten wir eine lange Kette und übten das schnelle Herumreichen gefüllter Wassereimer, im Falle die Spritze versagt einmal.

Sie hätten mich nur mal anriechen sollen, nachdem ich die Uniform runter hatte, ähnlich wie der Geruch einer abgesengten Gans. Zu Haus hab ich mich gleich gründlich gewaschen und die Sachen gelüftet.

Ich werde Sie jetzt erlösen von diesem Thema.

Ihr Brief hat mir so große Freude bereitet. Und diese Freude breitet sich so ganz über mich hin, daß mir die Zeit bis zum 29. Oktober bestimmt schnell vergehen wird. Ob ich kommen darf? Ganz gewiß, jetzt können die Eltern nicht mehr nein sagen. Ich schließe mich gern Ihren Plänen an, sind wir beide schon einmal davon enttäuscht worden?

Ihre Mutter ist bei Ihnen zu Besuch, das gönne ich Ihnen von Herzen — unter ihrer Obhut werden Sie sich wohlfühlen.

Am Sonntag werden Sie mit ihr die bekannten Wege gegangen sein, oft hab ich daran denken müssen. Ich habe mir eingebildet, daß Sie vielleicht ein wenig Sehnsucht hatten nach mir; dafür habe ich ein Anzeichen.

Mir ist bange um unser Geheimnis. Wird Frau H. Ihrer Mutter gegenüber etwas verlauten lassen, über diesen Besuch der älteren Dame von damals?

Sie sind mir auch noch eine Antwort schuldig, im Zusammenhange mit Ihrer Frau Wirtin. Bitte nicht vergessen!

Nun muß ich meine Freude darüber kund tun, daß Ihr Scharfsinn entdeckt hat, was mir so schwer fiel, Ihnen klarzumachen. Wie frankiert man Briefe ordnungsgemäß? Mir sind die Postgebühren nicht genau bekannt. Ich hab mir nur gedacht, daß es schade um das doppelte Porto ist, das wir im Inland anwenden, während z.B. Mutter nach Amerika eine Marke im Werte von –. 25 RM benötigt. Sie hat trotzdem 3 Briefbogen beiliegen. Zwar ist Ihr Briefpapier stärker als meines, doch ich habe jetzt, da Sie eine 12 Pf. Marke benützen, auch noch kein Strafporto zahlen müssen und ich nehme an, Sie ebenfalls nicht. In Oberfrohna lasse ich einen an Sie adressierten Brief nicht prüfen, ob er über wiegt und um erst nach Limbach zu gehen, war ich ehrlich gesagt zu bequem. Ich wollte das T[hem]a schon am letzten Male, als ich bei Ihnen war anschneiden, bin aber wieder davon abgekommen. Da wir uns aber nun so schön ohne Worte verstanden haben, schlag ich vor, wir wollens weiter so halten und nur wenn wir mal Bilder mitschicken, doppelt frankieren — einverstanden?

Nun zu Ihrer Bemerkung: ‚Sie will mir ein y für ein x vormachen’. Ich hab schon so überlegt und komme nicht darauf, was Sie wohl meinen, Sie haben mich sehr neugierig gemacht. Wenn ich auch manchmal allerhand Mut aufbringe, so will er [auc]h garnicht reichen, zum Beistand für einen neuen Briefschluß. Feigheit, das Wort liebe ich aber auch nicht, so will ichs denn probieren mit einem Ihrer wunderlichen Gedanken!

Den großen Teil dieser Sorge lade ich aber auf Ihre Schultern, Sie haben hierin mehr Erfindergeist als ich.

Ich wünsche Ihnen noch recht frohe Stunden in Gesellschaft Ihrer Mutter und bleiben Sie gesund.

Seien Sie nun recht herzlich gegrüßt von

Ihrer [Hilde].

Herzliche Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946