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[OBF-381015-001-01]
Briefkorpus

13.10.38

Lichtenhain am 15. Oktober 1938.

Liebes Fräulein [Laube]!

Dreiundzwanzig Bilder besitze ich jetzt von Ihnen und dreiundzwanzig Briefe. Das mag für mich der Anlaß sein, mich Ihrem Briefgedenken anzuschließen.

Diesmal habe ich besonders ungeduldig auf Ihren Brief gewartet, ohne daß ich einen rechten Grund dafür anführen könnte. Ganz gegen die Abmachungen begann die Schule erst am Dienstag, der Schulleiter teilte mir das am Sonnabend mit, ich reiste also Montag. So froh und leicht wie am Montagmorgen ist mir lange nicht gewesen, und dabei war doch Abschiedstag. Ich erwähne das nur, weil Sie schreiben, daß Sie am Montag meiner besonders gedacht haben.

Unterwegs rechnete ich: Der Brief, am Regensonntag geschrieben, könnte schon daliegen. Dienstag: Heute könnte er kommen. Mittwoch: Heute muß er kommen — der Briefträger blieb aus. Nun hätte ich am Nachmittag auf unsrer ‚Post’ fragen können, aber weil der Kalender für den nächsten Tag den 13. ankündigte, geduldete ich mich. Donnerstag mußte er kommen. ¾ 10 [Uhr] pocht es an die Tür — der Briefträger, ein sympathischer, älterer Mann. Klopfenden Herzens nehme ich den Brief und schiebe ihn in die linke Seitentasche, mühe mich dabei um ein gleichgültiges Gesicht, um der Neugier der Kinder keine Handhabe zu geben. Nun folgt noch eine harte Probe der Selbstbeherrschung: den Brief nicht eher öffnen als zu Hause! Ich habe es diesmal fertiggebracht, aber mindestens zehnmal nach der Uhr gesehen, ob der erlösende Stundenschlag nicht bald ertönt. So geht das ähnlich allemal. Zweimal habe ich den Brief schon in der Schule erbrochen. Ich erzähle das so umständlich, damit Sie glauben daß mir Ihre Briefe viel bedeuten. (Ich will Sie damit keineswegs antreiben, die Briefe schneller zu schreiben. Wenn ich sie Donnerstag erhalte, ist das ganz normal).

Wenn Sie zu Hause etwas Geschriebenes von mir erhalten, liegt gewiß etwas Besonderes vor, meist fehlt dann etwas. Das würde ich auch annehmen, wenn Ihr Brief einmal ausbliebe.

Diese 23 Briefe geben ein Bild von Ihnen, das ist deutlicher als die 23 Photographien. Es ist ein klares Bild, nicht trüb und verschwommen. Wenn ich unsrer Freundschaft recht froh werden will, lange ich nach den Briefen. Gerade am Dienstag und Mittwoch habe ich sie alle wieder einmal der Reihe nach gelesen und war so froh hintenach. Wie wacker haben Sie mitgehalten, wie klug, verständig und gewandt Sie sind, jeden Zweifels darüber bin ich enthoben, daß Sie ein Mädel sind mit einer Begabung, die weit über dem Durchschnitt liegt. Aber das ist nur die eine Seite, die ich freilich hochschätze. In jedem Brief spüre ich ein großes, gutes Herz und eine liebe, treue Seele — — — ich muß die Schreiberin liebhaben.

Ich sagte das schon einmal: Mann kann nicht alles schreiben, und manches läßt sich nur schreiben. Und darin werden Sie mir beipflichten: Wir sind uns in den Briefen schon nähergekommen als im persönlichen Umgang. Wir haben uns auch erst viermal getroffen.

Unter Ihren Briefen nimmt der zweite (ich habe sie alle nummeriert) einen besonderen Platz ein. Er erreichte mich am 13. Mai. Erriß [sic] mich aus meinem Gleichmaß in ein wildes Karussell der Gefühle. Ich war nicht ohne Ahnung und in die Erwartung damals mischte sich auch ein wenig bange Hoffnung. Dieser Brief hat an Wert gewonnen, je mehr ich Ihrer ernsten Neigung gewiß wurde. „Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.” Ich habe Sie schwarz auf rosa, ist das nun mehr oder weniger?

Ein Brief, der mir besonders lieb ist, Ihr Pfingstbrief.

In Nr. 9 freue ich mich über Ihre Bestimmtheit und Unternehmungslust. Doch es ist unrecht, wenn ich einige hervorhebe, ich möchte keinen hergeben. Nur noch zu Nr. 22 eine Erwähnung: Den mußte ich der Mutter nicht nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase rücken. Er duftet heute noch stark. In Nr. 23 will Sie mir ein y für ein x vormachen, ich werde auf der Hut sein. Merkwürdig, daß Sie lateinisch schreiben. In einigen Briefen, so auch im letzten, fragen Sie, ob ich Ihnen dies oder jenes zutraue. O, ich traue Ihnen viel zu! Dafür haben Sie auch Beweise. Daß ich z.B. mit Respekt auf Ihr Nixenleben sehe — daß ich nicht ganz ohne Bangen einer Probe Ihres Übermu[tes] entgegensehe. Ifh [sic] habe ja auch meiner Erfahrungen und brauche wohl nicht deutlicher zu werden, möchte nur, damit es nicht in Vergessenheit gerät, den Scheeball erwähnen, der an einem Sonntagabend an mein Fenster donnerte und mich nicht wenig erschreckt hat.

Sie dürfen nur zwei Minuten bös sein deswegen, Sie —.

Fast von allen großen Männern und Frauen sind die Briefe veröffentlicht worden. Man könnte das mißbilligen und meinen, es sei unrecht, Intimes und Persönliches der Öffentlichkeit preiszugeben. Es sind aber nur wenig Menschen, die sich solche Briefe kaufen, und die lesen darin, um die Großen recht genau und von allen Seiten kennenzulernen. Ich habe Bismarckbriefe, Briefe Friedrichs des Großen, vorige Woche habe ich mir Goethes Briefwechsel mit seiner Frau bestellt. Es ist von ganz eigenem Reiz, solche Briefe zu lesen. Friedrich den Großen kennt man aus der Schulzeit und aus den Geschichtsbüchern als den ruhmreichen Preußenkönig, der drei Kriege führte. In seinen Briefen lernt man ihn kennen als einen feingliedrigen, empfindsamen Menschen, eine grüblerische, zwiespältige Natur. Einzig sein starkes Pflichtbewußtsein, ich bin König von Preußen, befähigte ihn zu seinen Taten.

Während ich diese Seite schreibe, schläft meine Mutter auf dem Liegesofa. Sie kam vorhin an und wird bis Mittwoch bleiben.

Sie verwöhnen mich mit Ihrer Fürsorge. Aber bitte kommen Sie, und sehen Sie im alten Jahr noch einmal nach dem Rechten: Ich denke, daß wir am 29. 30. 31. Oktober noch einmal länger beisammen sein können. Ich habe beobachtet, wie sich im Wetter oft ein Tag wiederholt, wie sich auch der persönliche Tageslauf wiederholt. Wenn ich heute nacht um 3 Uhr munter werde, bin ich es in der folgenden gewiß noch einmal. Nach diesem Gesetz soll sich auch uns[e]re Begegnung wiederholen. Wir werden ein Theater besuchen, spät heimkommen usw. — — wenn Sie es nicht anders wünschen. Bitten Sie Ihre Eltern um Urlaub auch in meinem Namen und bestellen Sie herzliche Grüße.

Das Thema Briefe nimmt fast den ganzen Brief ein.

Es mag nun auch noch den Schluß abgeben.

Ich suche schon seit einiger Zeit nach einem Briefschluß, der um ein Grad herzlicher ist. Ich habe Ihr „herzlichst” schon bemerkt. Recht herzlichst ist stilistisch unschön. So oft ich meinen Briefschluß auch schon geschrieben habe; schrieb ich ihn doch immer mit neuem Nachdruck, nicht gedankenlos. Weil ich das auch von Ihnen weiß, lasse ich die formelhafte Schlusswendung beim Lesen auch nicht weg, im Gegenteil, der Blick ruht auf ihr eine Weile länger, es schießen mir dann wunderliche Gedanken durch den Kopf:

Ihre [Hilde Laube] — Ihre [Hilde] — — — meine [Hilde] —? [Siehe Ausschnitt aus dem Brief]



Ich denke, für heute bin ich eines herzlicheren Briefschlusses enthoben. Darum seien Sie wieder nur recht herzlich gegrüßt von

Ihrem [Roland Nordhoff].

Damit die Ehrlichkeit nicht zu kurz kommt: Zweimal hat der Schulmeister den Duden vom Brett geholt: sympathisch, Karussell.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946