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[OBF-381011-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 9. Oktober 1938.
am 11. Oktober 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Vielen Dank für den lieben, langen Brief. Bevor ich nun weiterschreibe, müssen wir aber mindestens eine Minute Gedenken opfern für ein kleines und doch für mich so großes Ereignis: Ich habe am letzten Male den 25. Brief von Ihnen erhalten! Auch müssen wir der Post, unserm zuverlässigen Freunde dankend gedenken — für die Zuverlässigkeit mit der sie uns erfreute, trotzdem unser Briefwechsel immer ohne Absender stattfand.

Rechnen Sie einmal zurück — am 4. Mai wagte ich das erste Mal, Ihnen zu schreiben.

Fast ein halbes Jahr ist seitdem vergangen, reich an Erlebnissen aller Art. Nachdem wir nahezu 2 Jahre lang nebeneinander und doch wieder aneinander vorbeilebten, fügte es sich auf so eigene Art, daß wir uns näher kamen. Eine Freundschaft verbindet uns jetzt und ich fühle mich in dieser Freundschaft so froh und glücklich. Und ich möchte Ihnen, der so lange abseits stand, recht viel Sonnenschein bringen, Sie auch glücklich machen.

Sie schrieben von einem geheimen Schmerz, den Sie schon so lange in sich tragen. Vermag ich es, Sie zu trösten? Dann bitte vertrauen Sie sich mir an, ich möchte Ihnen tragen helfen. Sie sollen nie mehr allein stehen im Leid.

Wenn Sie sich nicht brieflich mitteilen können, dann tun Sie es, wenn ich wieder bei Ihnen bin, es wird Ihnen leichter werden.

Wäre es möglich, daß dieses Leid im Zusammenhange steht mit dem, was Sie mir an dem Sonntagabend erzählten in Lichtenhain? Als Sie einmal als Kind über das Benehmen Ihres Vaters, daß er vielleicht im Scherz der Mutter gegenüber an den Tag legte, so erschraken und Ihre kindliche Verehrung dadurch erschüttert wurde?

Ich schrieb Ihnen schon am Anfang einmal, daß ich meine, Sie tragen etwas mit sich herum; wenn man Sie genau beobachtet, fühlt man das, es beschattet manchmal Ihr Wesen.

Sie dürfen nicht denken, daß ich aus Neugier in Sie dringen will. Es ist die Sorge um Sie — ich möchte, daß Sie wahrhaft froh und unbeschwert sein können.

An diesem Briefe schreibe ich ein paar Tage. Gestern bin ich ein Stück spazieren gegangen mit den Eltern. Nachmittags hatte ich mich hingesetzt, um Ihnen zu antworten. Natürlich foppten sie mich aus Unsinn, es müßte ja allerhand in dem großen Brief dringestanden haben, weil ichs so eilig hätte mit dem Schreiben. Wenn sie mir aber von dieser Seite kommen, raucht es und ich hab[s ihnen bewiesen, daß — daß eben [nic]ht allerhand dringestanden hat, was gleich beantwortet werden muß. Ich weiß, daß es auch in Ihrem Sinne ist, wenn ich Sonntags mal ins Freie gehe, statt im Zimmer zu sitzen. Aber wenn das Wetter nicht besonders viel wert ist, sehne ich mich nicht hinaus. Außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, daß man sich, sobald man einen Brief wegschickt, mit der Frage beschäftigt: ["]Wann wirst du den nächsten in den Händen halten?"

Heute hab ich den ganzen Tag an Sie gedacht. Ob wohl der Anfang gut war? Ob auch Ihr Zimmer geheizt wird, damit Sie nicht frieren müssen? Es wird ziemlich kalt sein im Winter, Sie können ja keine Doppelfenster einhängen. Ich möchte Ihnen das besonders ans Herz legen: Wenn Sie nun an den langen Abenden bei der Arbeit sitzen, nicht das Warmhalten vergessen! Wissen Sie noch, daß Sie im vorigen Herbst schon einmal über Reißen klagten, als Sie noch in Oberfrohna waren? Man wird das schwer wieder los, ich sehe es bei meinem Vater.

Am liebsten möchte ich selbst mal nachsehen, ob man Sie auch gut versorgt. Soviel ich wahrnehmen konnte, weiß ich Sie ja bei Ihrer Frau Wirtin in guten Händen.

Es ist wie verhext, heute ist Dienstag und ich schreibe immer noch. Gestern war es die Großmutter, die zu Besuch kam und ich mußte schnell die Schreiberei wegpacken, damit sie nichts merkte. Es war nur gut, daß ich auf meinem Schreibblock mit der Aufstellung der Ahnen angefangen hatte, das war meine Ausrede, auf ihr Fragen. Ich hab sie gleich mal in Beschlag genommen und einiges in Erfahrung gebracht. Das genügt mir aber noch nicht, in nächster Zeit gehe ich zu ihr und frage sie tüchtig aus. Gestern war sie nicht richtig bei der Sache; man hat seine liebe Not mit den Großmüttern. Bei Vaters Mutter war ich gestern auf einen Sprung, die hat mich an meine Tante gewiesen, deren Sohn benötigte eine Ahnentafel wegen der Militärpflicht, davon brauche ich nur mein [sic] Teil abzuschreiben. Ich will alles daransetzen um so weit wie möglich zurückzugreifen, ich finde das sehr interessant. Man glaubt garnicht, wie viel Zeit es erfordert und oftmals noch ohne Erfolg. Wer weiß, wo die Geburtsurkunde Ihres Ururgroßvaters hingeraten ist. Eingetragen sein muß ja alles. Es kann höchstens durch Umzug oder dergleichen mal etwas verloren gehen. Vielleicht ist gar ein Brand ausgebrochen und Verschiedenes mit umgekommen. Mein Ururgroßvater in Hainichen geboren, war auch ein Schneider, nur hieß er Gottlieb.—

Ich bin nicht eifersüchtig auf Ihren väterlichen Freund. Im Gegenteil, ich freue mich, daß Ihnen dieser Mann etwas sein kann, daß sich diese wertvolle Freundschaft all die Jahre hindurch aufrecht erhielt. Sie haben ja meine Bedenken so lieb zerstreut. Ich möchte, wenn Sie beide so dahingehen, auch mal den stillen Beobachter machen.

Sie haben mir einen schönen Schreck eingejagt, indem Sie schrieben: Nachdem Sie mich böslich verlassen hatten....! Was dem Gesetze nach folgt, auf solch eine Tat? Die Scheidung. Ich stehe nun als armer Sünder vor Ihnen: Lassen Sie diesmal noch Gnade vor Recht ergehn!

Nun muß ich schließen um 8 Uhr beginnt mein Dienst und Ihr Brief muß endgültig mit auf den Weg.

Dieser Tage erhielt ich die Einberufung zur Ausbildung im Luftschutz. Heute das erste Mal Unterricht in der Hindenburgsc[hu]le. Mein liebes, altes Klassenzimmer besuche ich mit, ich freue mich darauf.

Ich hoffe, daß auch Sie gesund und wohlauf sind. Leben Sie wohl und seien Sie recht herzlichst gegrüßt von

Ihrer [Hilde Laube]

Beste Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946