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[OBF-380831-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, am 31. August 38.

Lieber Herr [Nordhoff]!

[I]ch bin am Sonntag wieder gut zu Hause angelangt. Doch nicht so froh und unbeschwert als andermal. Sie mußten es ganz gewiß auch spüren; es ist seit dem Abschied etwas zwischen uns getreten, etwas Dunkles, Fremdes. Ich quäle mich die ganze Zeit mit dem Gedanken, daß ich es war, die den Mißklang hineinbrachte in unsern Abschied, durch mein voreiliges Handeln auf dem Bahnhof. Und ich weiß, daß ich Sie betrübte; denn Ihre Augen lügen nicht. Bitte, verzeihen Sie mir das, es war bestimmt nicht bös gemeint. Es fällt mir so schwer, in allem Ihr Gast zu sein.

Und noch etwas. War es recht, daß ich gerade am Sonntag vom Vergangenen sprechen mußte? Hätte ich nicht wart[e]n müssen, bis Sie selbst einmal zu wissen begehren — was ein wahrer Freund fordern darf — welchen Lauf mein Leben vordem nahm?

Aber ist denn nicht Aufrichtigkeit die unentbehrlichste Stütze einer Freundschaft? Und ich will Ihnen nichts verbergen, Sie sollen alles von mir wissen. Können S[ie] verstehen, daß es mir schwerfällt, Ihnen Auge in Auge klarzustellen wie sich diese Geschichte verhält?

Ich bin mitschuldig an seinem Schicksal, dessen bin ich mir bewußt. Weil ich hinging um Vergessen zu suchen — d[am]it sein Vertrauen zu mir mißbrauchte.

Ich glaube Frauen können grausam sein anderen gegenüber, wenn sie sich von einem Manne mißverstanden, verschmäht fühlen.

Daß das Ferienerlebnis nichts als große Enttäuschung war, kam mir erst so recht zum Bewußtsein, als ich mich wi[ed]er daheim im geordneten Leben befand — als ich wieder die Singstunden besuchte. Als er dann seine militärische Laufbahn beendete, nach Dresden kam und ich lernte ihn näher kennen, mußte ich wahrnehmen, daß wir uns niemals völlig verstehen lernen würden. Es ist sonderbar, man sieht einen Menschen, beobachtet ihn, lernt ihn kennen; erkennt seine Fehler und Schwächen, und sofort eilen die Gedanken zurück zu einem anderen, beides sind Menschen — welcher der Bessere?

Mitleid oder Schuldbewußtsein, ich weiß nicht, welches von beiden mich immer noch ausharren ließ.

Er war einsam in der großen Stadt — in Zwistigkeit von Mutter und Schwester gegangen und das mußte er nun ertragen; denn um meinetwillen hatte er die Garnison verlassen. Er war unzufrieden und mürrisch, weil er mir nun als einfacher Arbeiter nicht das bieten konnte, was er vielleicht gern wollte. Er war dessen nicht eingedenk: Daß man das, was man ist, erst durch seiner Hände Arbeit erringen muß, durch seinen eignen starken Willen und Fleiß — daß man auch damit rechnen muß, bis zum Ziel kann eine lange Spanne Zeit vergehen und man darf nicht seine Hoffnung auf einen glücklichen Zufall allein setzen.— Ich konnte ihm den Glauben an eine neue Zukunft nicht geben, weil es nicht die Liebe war, die mich zu ihm h[iel]t; es fehlte das Verstehen, wir kamen uns innerlich nicht näher. Eines fällt mir gerade ein. Er wollte, daß wir uns alle 14 Tage in Chemnitz träfen. Ich war dagegen aus dem Grunde: Sein Stand erlaube ihm das nicht, er solle doch vorerst mal ans Schaffen denken und was müßte außerdem seine Mutter für einen Eindruck von mir bekommen. Statt nun Verständnis hierfür zu zeigen, quälte er mich mit Eifersucht und Mißtrauen. Ach was soll ich aufzählen. Können Sie nachfühlen, wie so etwas auf die Dauer zermürbt? Kam noch hinzu die Krankheit meiner Mutter, die schwere Operation. Geschwister, einer Freundin, der ich mich in meiner Lage hätte anvertrauen können, habe ich nicht. Ich konnte dann nicht mehr. Ich bat ihn schriftlich, mich freizulassen, weil wir kein beiderseitiges Verständnis fanden, daß ich einen anderen Menschen liebe, schrieb ich ihm nicht. Ich konnte den Namen dieses Menschen nicht mit ihm in Verbindung bringen, dazu ist er mir zu heilig. Lieber wollte ich eine Kränkung mehr erdulden. Vielleicht war das ein Fehler von mir, ich hätte müssen die Wahrheit sagen; aber er hätte mir dann keine Ruhe gelassen, weil er mich keinem Andern gönnt — und das fürchtete ich so. Nach Weihnachten schrieb er mir zum letzten Male, daß er seine Konzequenzen ziehen würde. Ich war so froh und dankbar über diese Fügung. Nun wissen Sie alles und mir ist eine Last vom Herzen, daß ich es Ihnen anvertrauen kann. Nun bitte ich Sie, fällen Sie Ihr Urteil, können Sie mir noch immer vertrauen[,] können sie noch Achtung haben?

Alles andre stelle ich heute beiseite und bitte beantworten Sie mir noch: Hat es Ihnen, trotz meiner Fehler die ich begangen, am Sonntag doch auch gefallen?

Es grüßt Sie recht herzlich

Ihre dankbare [Hilde Laube].

Die Eltern lassen Sie herzlichst grüßen.

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946