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[OBF-380825-001-01]
Briefkorpus

23.8.38

Lichtenhain am 25.8.38

Liebes Fräulein [Laube]!

Ihre Aufnahmen haben mir viel Freude gemacht, am liebsten behielt ich sie alle. Die Bildausschnitte sind gut gewählt, nur ein Bild hat zuviel leeren Himmel. Die Stellungen sind durchweg lebendig — Frauen verstehen sich doch immer besser ins rechte Licht zu rücken!— und wenn ich nicht wüßte, wem Sie so voll Liebreiz gesessen (Modell sitzen) und zugelacht haben, ich würde tatsächlich eifersüchtig.

Und eines wird mir deutlich beim Betrachten der Bilder: Ihre Freundin bringt eine Saite Ihres [W]esens zum Schwingen, die ich noch nicht kenne, vielleicht auch nicht kennen kann, weil sie größeres Vertrautsein voraussetzt, dieses Gelöstsein, diese sorglose Heiterkeit, diese unbeschwerte Fröhlichkeit, wie man sie in den Singstunden manchmal erleben konnte. Bewahren Sie sich diese Fröhlichkeit und halten Sie diese Freundin, mit der Sie fröhlich sein können, auch wenn Sie ihr auch manchmal grollen müssen. Weil ich von dem Gelöstsein schreibe, denke ich daran, wie anstrengend unsre Begegnungen sind, wie Sie den ganzen Menschen anspannen: Die Spannung und Erwartung schon vorher, die Vorbereitungen, die Fahrt, und dann — ohne daß man es besonders will oder merkt — daß m[an] sich selbst und den andern beobachtet, dazu ganz neue Reiseeindrücke, daß ist zusammengenommen eine große Anstrengung.

Ich dachte jetzt einmal, da nun die finstere Jahreszeit sich ankündigt, schade, daß wir einander nicht näher sind, daß ich nicht noch in Oberfrohna bin. Dagegen steht freilich sofort der andere Gedanke auf: Wer weiß, ob wir dann einander nähergekommen wären, es gab eine Anzahl Hindernisse, Sie verstehen, die mit der Entfernung einfach gegenstandslos geworden sind, ich glaube, die Entfernung ist g[ut] und hat sein müssen.

Nach unsrer ersten Begegnung unternahmen Sie es, ein Ergebnis festzustellen. Das wird einmal kommen und sein müssen, daß wir uns erklären. Wenn ich bedenke, wie rasch aufs Ganze gesehen die Zeit dahineilt, wie schnell die wenigen Stunden unseres Zusammenseins verrinnen, dann möchte ich sagen, es wird noch eine gute Zeit ins Land gehen müssen, ehe wir uns erklären können. Bis dahin bleibt es bei der Abmachung: Es steht auch Ihnen frei, zurückzutreten und — soweit schätzen wir uns nun — daß wir einander nicht hintergehen und mit der Wahrheit dienen.

[Dr]eierlei hat sich in den letzten Tagen so entschieden, wie ich es wünschte: 1) Unser Schulfest, das ursprünglich am vergangenen Sonntag stattfinden sollte, war wegen der Maul- u. Klauenseuche bis in den September verschoben worden, und wird nunmehr in diesem Jahr gar nicht stattfinden. 2) Vorige Woche forderte man mich auf, zum Reichsparteitag zu fahren. Rundweg abschlagen kann man das nicht, und ich erklärte mich bereit, als Zivilist dahinzureisen, als mir eröffnet wurde, Unterkommen und Verpflegung in Zeltlagern. Das ist nichts für mich; [w]ährend ich noch überlegte, wie ich mich aus der Schlinge ziehen könnte, kam die Nachricht, daß ich zurücktreten könne. 3) Und nun schreiben Sie, daß auch Ihre Fahrt fällt. Wieder ein Stein vom Herzen, ein Steinchen nur. Wir hätten eben fremd tun müssen, vielleicht hätten wir diese Rollen sogar mit heimlichem Vergnügen spielen können — aber es ist schon besser so.

Seit Sonntag herrscht hier kaltes, unfreundliches Wetter, und es bleibt zu hoffen, daß es sich bis Sonntag bessert. Heute habe ich mir heizen lassen.

Ich bringe Ihnen einen Roman von Hamsun mit: ‚Segen der Erde’, ganz anders als Viktoria. Wollen sehen, ob er Ihnen gefällt. Bei diesem Roman können Sie nicht hinten nachlesen, wie es ausgeht. Die späteren Romane Hamsuns sind wie die modernen Schlager: sie reißen plötzlich ab, haben keinen richtigen Schluß.

Zur Klärung: Horoskop, ein griechisches Wort, heißt übersetzt ‚Stundenschauer’. ‚Jemandem das Horoskop stellen stellen’ heißt, aus dem Stande der Gestirne bei der Geburt einer Person weissagen.

Und nun freue ich mich auf das Wiedersehen mit dem Mädchen aus dem Westen. Diesmal etwas pünktlicher, sagen Sie es dem Lokomotivführer.

Herzliche Grüße Ihren Eltern.

Seien Sie selbst recht herzlich gegrüßt von

Ihrem [Roland Nordhoff].

Kommenden Sonntag also zur gewohnten Zeit.

Ihre Aufnahmen gebe ich am Sonntag zurück.

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946