Bitte warten...

[OBF-380809-002-01]
Briefkorpus

7.8.1938.

Oberfrohna, am 9. August 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Begleitet mit Ihren besten Wünschen für den Anfang, betrat ich am Montag wieder mein Arbeitsfeld. Ich muß sagen er ist mir leicht gefallen, der Start für ein ganzes, langes Jahr. Erstens übt die neue Umgebung ein angenehmes Gefühl auf mich aus. Wir Mädels sind jetzt für uns, in einem hellen, luftigen Saal mit 7 großen Fenstern drin. Auf jedem der Fenster steht ein Blumenasch mit Gewächsen verschiedenster Art, deren Pflege und Gedeihen wir selbst überwachen. Ja wir haben uns vorgenommen ein kleines Musterreich aufzubauen, unter dem Leitspruch: „Größte Sauberkeit." Unsre männlichen Wesen sollen staunen, sobald sie mal bei uns eintreten. Ist ja alles gut und schön, es fragt sich nur, ob dieser Vorsatz von jeder aufrecht erhalten wird! Das Schönste ist, daß ich alles andre im Rücken habe; wenn ich aufsehe, blicke ich gerade hinaus in den Garten. Wenn der Herbst kommt und draußen wird es bunter und bunter, bis zuletzt die Bäume nackt und kahl dastehen, so ist es noch nicht einsam. Dann hab ich freie Aussicht und kann immer den Zug beobachten. Sie dürfen nicht denken, daß ich faul bin. Ich muß mich durch irgend etwas anregen, muß beobachten, sonst halte ichs nicht aus. Manche sitzen da und starren immerzu auf die Maschine, ich glaube dann würde das wenige meines Geistes noch vollends vertrocknen.

Am Sonntag bekamen wir Besuch aus Halle, anläßlich des Geburtstags meiner Großmutter. Ist es nicht ulkig, sie wurde am 8.8.1938 80 Jahre alt. Man sieht ihr nicht das Alter an, sie ist noch so rüstig. Am Sonntag und heute waren die Verwandten bei uns, es gibt so viel Ablenkung, ich will heute noch Ihnen schreiben, wenns auch schon fast 10 Uhr ist — Sie werden warten. Sie sind nun in Lichtenhain, es tut mir leid um Ihre Mutter, daß sie mit der Pflege Ihrer Großmutter sich selbst überlassen ist. Aus Ihren Zeilen konnte ich schließen, daß sie mit im Hause wohnt. Es ist oft schwer, alte Leute zu befriedigen — hoffentlich bessert sich ihr Zustand.

Um nochmal auf die Bilder zurückzukommen. Ich weiß, ich habe gesündigt, wir waren wohl beide etwas aufgeregt; in Zukunft werde ich mich zusammennehmen. Gut, weil Sie mich darum baten, lassen Sie das Bild von mir am Leben, aber nur diesmal, das nächste bekommen Sie garnicht zu sehen. Es wirkt auch nicht gut, wenn man frisch frisiert Aufnahmen macht. Am Donnerstag bekomme ich meine Bilder, die ich vorige Woche fotografierte, sind sie gelungen, so schicke ich sie Ihnen mal zum Vergleich.—

Wenn Sie mir Ihre Gedanken, die Sie über die geistige Regsamkeit hegen, mitteilen; so kann ich Sie gut verstehen. Es ist eine verkehrte Einstellung, denkt man: Zu vieles Fragen schickt sich nicht, ist vorlaut, neugierig. Mit dem großen Unterschiede natürlich, daß man diese Fragen, dieses Interesse auch an rechter Stelle anbringt.

Ich bewundere immer wieder, wie Sie verstehen alles so anregend zu gestalten. Im Grunde genommen bedarf es doch nichts, als daß man Auge und Ohr offenhält, daß man empfänglich ist für all das, was um uns her geschieht. Wenn man dann noch dazu in der Umgebung leben könnte, nach der man sich sehnt; ich glaub da gibt es ja so viel zu beobachten und zu lernen, daß man garnicht Zeit findet unzufrieden zu sein.

Bitte sagen Sie niemals wieder, daß Sie sich Vorwürfe machen, daß Sie mein Gemüt mit Ihren Kümmernissen belasten. Glauben Sie ich fühle mich glücklich, wenn ich sehe wie ein Mensch darauf bedacht ist, mir nur immer Freude zu bereiten und ich soll das alles annehmen, ohne einen Dankesbeweis? Nein das kann ich nicht. Ich bin mein Leben gewöhnt und ich erlebe dankbar, daß Sie mich lehren, die andre Seite des Lebens kennenzulernen. Sie dürfen nicht denken, daß Sie mirs erschweren. Wie soll ich es danken? Wenn Sie volles Vertrauen haben — lassen Sie mich Ihre Kameradin sein. Ich will nicht nur die Freude mit Ihnen teilen, sondern auch Ihre Sorgen und das Leid.—

Eine Arbeitskameradin von mir verbrachte ihre Ferien mit ihrem Bräutigam auch im Harz. Vielleicht haben Sie den Brunnen auch gesehen? Im nächsten Brief schicken Sie die Karte bitte wieder mit.

Vorige Woche hab ich in Onkels Bücherschrank gekramt. Etwas sehr Interessantes hab ich mir mitgenommen: „Handbuch des Wissens” von Dr. Reinhold Berger. Sie müssen das auch kennen, ich sah es in meiner Schulzeit mal auf dem Pult des Herrn H. liegen. Es war in der Pause und ich hab nur so bissel durchgeblättert, er kam dazu. Ganz wild ist er geworden und hat mirs aus der Hand gerissen. Konnte ich denn ahnen, daß er in Physik eine Arbeit schreiben lassen wollte? Danach hatte ich sicher nicht gesucht. Aber gewußt hab ichs, woraus er seine Weisheit schöpfte. Mit der Baukunst hab ich mich mal näher befaßt, etliche bekannte Dome und Bauten sind abgebildet[,] auch ein Romanisches Würfelkapitäl, doch von einem Lettner keine Spur, gibts denn das nur im Meißner Dom? Ach über so viele Gebiete kann man Aufklärung erhalten; es brummt einem direkt der Kopf, liest man alles durchei[n]ander.

Einen Wunsch habe ich, wenn Sie mal viel Zeit haben, dann schreiben Sie mir bitte die Lieder auf. Von Franz Schubert, „an die Musik” und das Volkslied, von dem Sie in Meißen erzählten.

Ihre Charakterbeschreibung lege ich bei, ob auch alles stimmt? Seien Sie nun recht herzlich gegrüßt von

Ihrer [Hilde Laube].

[D]ie Eltern danken für Ihre Grüße und grüßen Sie ebenfalls herzlich.

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946