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Briefkorpus

4.8.

Bischofswerda am 6. Aug. 1938

Liebes Fräulein [Laube]!

Es ist mir erst zu Hause recht deutlich geworden, wieviel Lauferei und Auslagen ich Ihnen zugemutet habe, als ich Ihnen auftrug, die Filme zu besorgen. Sie haben mich aber recht verstanden: Sie sollten die Bilder zuerst sehen und über die Aufnahmen verfügen. Mit Spannung und Entdeckerfreude langt man nach neuen Bildern. Ich betrachtete erst die Bilder, eh ich Ihren Brief las. Ich war entzückt über die Aufnahme an der Brüstung. Wie Sie dort entrückt nach [sic] zu den himmlischen Gefilden aufschauen, das ist nicht ganz natürlich, aber reizend. Ich bitte um Gnade für dieses Bild. Sehr hübsch die Aufnahme am Fenster (stehend). Am wenigsten gefällt mir, die nun noch übrig ist. Sie sitzen dort etwas gedrückt, das Gesicht etwas verkniffen, die Nase ungünstig beleuchtet — ich hätte das sehen müssen. Die Aufregung ist schuld, ich habe noch zu wenig Übung in Bildern mit weiblichem Vordergrund.

Und nun nehmen Sie es nicht krumm, wenn ich als ‚erfahrener Fotograf' Kritik übe an Ihren Schnappschüssen. Beim nächsten Male müssen [Si]e energisch mein dummes Gesicht zurechtrükken [sic]. Das gilt für beide Bilder. Das Bild an der Brüstung zeigt schiefe Wände, Sie haben auch zu tief gehalten und mich von unten angeleuchtet, hätten mich auch neben den Wasserspeier stellen müssen.

Die andern Aufnahmen haben auch kleine Mängel. Das Dominnere ist verwackelt, eine Sekunde kann man nicht stillhalten. Auf ein[i]gen Bildern hebt sich der Vordergrund vom Hintergrunde nicht genug ab, ich weiß den Fehler. Zu anspruchsvollen Aufnahmen möchte man immer auch das Stativ mitschleppen.

Die Harzbilder — 4 sind noch nicht entwickelt — :

1. Die Doppeltürme gehören zum Ostteil des Naumburger Doms. 2. Eine Marktansicht von Naumburg (die Kirche im Hintergrunde ist nicht der Dom). 3. Das Schachbrett der Gefilde, die sich am Fuße des Kyffhäuser hinbreiten. 4. ein nichtssagendes Bild, ein Blindgänger, wüßte jetzt auch gar nicht, wie der Ort heißt.

Ich kann heute nur abschnittweise schreiben. Unsre Großmutter liegt seit gestern ernstlich krank, Herzschwäche und Wasser. Da muß ich Mutter zur Hand sein, habe auch wenig Ruhe, vielleicht kann ich den Brief gar nicht fertig schreiben.

Nach unserm ersten Beisammensein schrieben Sie, dem Sinne nach,:<<Ich habe auch mit den Eltern schon solche Wanderungen unternommen.... S sie wußten wohl nicht so gut Bescheid, behielten es für sich, erlebten es wohl mehr innerlich.>> Ich habe aus diesen Worten — sehr lieb von Ihnen — eine Verteidigung Ihrer Eltern gelesen. Ich hätte (wohlgemerkt!) daraus auch einen leisen Vorwurf lesen können: ich war geschwätzig, trug mein Herz auf der Zunge. Mir fallen dazu ein paar Gedanken ein, die ich niederschreiben will, sie hängen, zwar lose, damit zusammen.

Ein gut Teil der Bemühungen unsrer Lehrer, und nun heute auch meiner Bemühungen an den Kindern, zielte darauf ab, uns sehen zu lehren, zu beobachten, zu fragen, nachzudenken, einer Sache auf den Grund zu gehn, mit einem Wort: uns geistig beweglich, regsam zu machen. Geistige Beweglichkeit ist wie die körperliche ein Vorzug, erstrebenswert, und wir sind darauf bedacht, beide möglichst lange zu erhalten; wer sie verliert, altert. Geistige B[e]weglichkeit ist nötig, wenn wir uns die Güter der Bildung aneignen wollen, wenn wir das Erbe unsrer Väter in Baukunst, Dichtung, Musik antreten wollen. Alle Bildung ist in gewissem Sinne auch Herrschaft.

Ein Beispiel: Wir stiegen auf den Turm des Meißner Doms und hielten Umschau. Ich konnte nun in diese Menge von Bergen und Tälern und Ortschaften einige Ordnung bringen, konnte Oschatz, Riesa, Dresden, den Collm, den Keulenberg zeigen, und übte damit in gewissem Sinne eine Herrschaft aus über dieses Land. Geistige Regsamkeit äußerte sich vor allem im gesprochenen und geschriebenen Wort.

Ein kleines Beispiel dafür, daß ich manchmal schon mit dem richtigen Wort Machte gewinne über ein Wesen: Sie kommen des Wegs daher. Da taucht vor Ihnen ein Hund auf, der tut, als wolle er Sie fressen. Sie suchen nach Hundenamen, sagen einen, zufällig den passenden, der Hund wird stutzen und von Ihnen lassen. Mit dem Namen bekamen Sie Macht über ihn.

Und wenn ich Sie scherzhaft schulmeisternd nach dem Worte Lettner fragte — es hängt keine Seligkeit an diesem Wort, aber mit seinem Besitz verbindet sich ja auch ein tieferes Verständnis und eine Anschauung. Die kleinen Kinder haben eine Zeit, wo sie nach allem fragen, was ihnen neu erscheint. Diese Neugier und Wißbegier muß man sich erhalten, wenn man geistig rege bleiben will. Das ist nicht leicht und es gibt eine Menge Trägheit zu überwinden. Eine gute Bildung läßt sich nur erreichen, wo gesundes, frisches, frohes Empfinden ist. Dieses gesunde Empfinden läßt uns beim Anblick eines großen Domes zunächst staunend verstummen. Wo wir überwältigt werden, schweigen wir. Nur Menschen ohne Empfinden werden dann schwätzen, können jedes Gefühl und jede Stimmung zerreden.

Nach diesem Staunen ist es aber auch recht, sich umzusehen, zu beobachten, zu fragen — dazu werden ja die Führungen veranstaltet. Wenn ich geschwätzig war, ich war's nur Ihnen zuliebe — ich kann sehr schweigsam sein. Es ist schade und ich bedaure, daß Ihnen Ihr täglicher Umgang nicht die Anregungen bietet, die ein regsames Menschenkind, wie Sie es sind, braucht — und ich verstehe nun erst recht Ihre dankbare Freude über unsre Begegnungen — und bin nur zuweilen darum besorgt, daß ich Ihnen zuviel zumute. Ich habe mir auch schon Vorwürfe gemacht, daß ich Ihr Gemüt mit meinen Kümmernissen zu sehr belaste. Gewöhnen Sie sich nur daran, daß Sie an ganz leeren Tagen eine halbe Stunde lesen, das ist dann noch die beste Anregung.

Ich bin gut nach Hause gekommen, war sehr müde auf die Beine [sic]. Das gemütliche Schlendern bin ich nicht gewöhnt, ist mir aber ganz heilsam.

Nächste Woche beginnt unsre Arbeit wieder. Guten Anfang wünsche ich Ihnen. Voraussichtlich Montag fahre ich nach Lichtenhain (Anschrift!). Das Ereignis, das über den die Alltagen freudig vorwärts weisen soll, ist unsre nächste Begegnung. Nun lassen Sie mich heute schließen, grüßen Sie bitte Ihre Eltern,

seien Sie selbst recht herzlich gegrüßt von

Ihrem [Roland Nordhoff].

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Hilde Nordhoff im Profil, aus einer Höhe auf eine Stadt schauend. Im Hintergrund ein Turm.

Ba-OBF K01.Ff1_.A6, Hilde Nordhoff, 1938, Meißen, Fotograf unbekannt.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946