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[OBF-380722-001-01]
Briefkorpus

[undatiert, wohl 22. Juli 1938]

Liebes Fräulein [Laube]!

Ich mein, Ihre Maschine müßte stehengeblieben sein oder Sie müßten es anders wie gespürt haben:

[D]enken Sie, heute morgen mußte ich zurückfahren, ich mußte. Welche Enttäuschung für Sie — für mich. Wie es mich schmerzt, wie ich mit mir gekämpft habe.

Was mir fehlt?

Mittwoch abend fühlte ich mich wohler und [a]uf Ihren Gruß hin war ich voll guter Zuversicht. (Erschrecken Sie nicht über die Schrift, ich schreibe im fahrenden Zug). Ich habe die folgende Nacht kaum geschlafen, habe den leichten Druck in der Magengegend beobachtet und mir Gedanken gemacht. Gestern Vormittag war ich etwa 4 Stunden unterwegs, anfangs lustlos, dann aber ganz munter. Nach dem Mittag begann das Magendrücken wieder. Es läßt sich das schwer [be]schreiben. Es ist beides: Erkältung und Nervosität. Weil ich Komplikationen befürchte und weil ich mich davor bange, in der Fremde krank zu liegen, habe ich mich schweren Herzens entschlossen heimzufahren, nachdem ich vergangene Nacht kein Auge zugetan und ein wenig gefiebert habe. [Jet]zt sitze ich im Eilzug zwischen Halle und Leipzig, 2. Klasse habe ich gelöst, meine Wangen brennen — ein wenig Fieber und von dem Gedanken, daß ich Sie um Ihre Freude betrügen muß.

Ich bitte Sie, nehmen Sie Ihren ganzen Mut und tragen Sie es nicht schwer — Mir soll das die erste Hilfe auf dem Wege zur Heilung sein. Nicht allzuviel nachgrübeln über den Sinn dieser Fügung. Ach Gott, was werden Ihre Eltern sagen! Versuchen Sie die Fahrkarte zurückzugeben, oder auch nicht, wenn es Ihnen schwerfällt — ich komme für den Schaden auf.

Vor 8 Tagen erhielt ich Ihre frohe Nachricht, heute muß ich Ihnen diese Botschaft bringen. Vielleicht ist es gar nichts Schlimmes, aber auch Kleinigkeiten wollen ausgeheilt sein, und das ist nur zu Hause möglich. Mir steckt noch ein wenig der Schreck in den Gliedern von vor 2 Jahren. Was wird meine Mutter sagen?

Ach, wenn wir nur gleich zusammen abgereist wären, ich glaube, es wäre dann nicht passiert. Aber das ist kein Trost. Jetzt sitze ich im Leipziger Hauptbahnhof. Auf dem Nebengleis steht der Zug nach Chemnitz. Was wird nun aus Ihren Ferien? Machen Sie sich meinetwegen nicht viel [So]rge. Ich werde Ihren bald Nachricht geben. Auf dem Nachhauseweg vom Bahnhof gehe ich gleich zum Arzt. Ich habe eine Weile geschwankt: Soll ich in Wernigerode mich befragen, vielleicht ist es belanglos, in 2 Tagen auszuheilen! — aber dem gegenüber: Vielleicht ist es schlimmer, hält mich der Arzt gar nicht für transportfähig, dann kranke ich in der Fremde. Der Gedanke hat mich geschreckt, sodaß ich losgefahren bin. Bitte stellen Sie das auch Ihren Eltern dar.

Und nun schließe ich in der Hoffnung, daß Sie diese Botschaft gefaßt und geistesgegenwärtig findet, daß ich Ihnen bald meine Besserung melden kann.

Behüt Sie Gott!

Recht herzlich Grüße von

Ihrem [Roland Nordhoff]

Herzliche Grüße auch Ihren werten Eltern.

Karte
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22.7.1938: Die Kennkarte wird als allgemeiner polizeilicher Inlandsausweis eingeführt. Dies hatte weitere Diskriminierungen von Juden zur Folge, welche nun u.a. auf Anfrage immer jene Kennkarte zeigen und unaufgefordert auf ihre "Eigenschaft als Jude" (Dritte Bekanntmachung über den Kennkartenzwang) hinweisen mussten.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946