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Briefkorpus

Oberfrohna, am 28. Mai 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Sie werden unterdessen die Grüße von unserem fröhlichen Beisammensein erhalten haben, das wir am Polterabende unsrer Singstundenkameradin Ilse W. im Restaurant „Germania” abhielten. Heute nun, nachdem der kleine Rausch ausgeschlafen und die Trauung vollzogen ist, will ich Ihren lieben Brief beantworten.

Vielleicht interessiert es Sie, etwas über die Vorgänge in Ihrer alten Heimat zu hören. Unser Herr Pfarrer E. wird in 14 Tagen sehr wahrscheinlich seine Abschiedspredigt halten. Es ist gerade der Sonntag, an dem in Annaberg das Fest stattfindet. Herr Kantor meint, dies sei der Grund zu einer dringenden Absage der Gesellschaft und hat auch schon ein Schreiben nach Leipzig eingereicht. Nun kommt das große Geheimnis — wir werden natürlich, sollte der Plan dieser Fahrt ins Wasser fallen[,] entschädigt, durch einen wunderschönen Vorschlag unseres Herrn Kantor. Doch den verrate ich Ihnen „vielleicht” mündlich.—

In Ihren Ausführungen, das Verhältnis der Menschen zu Gott, habe ich Sie verstehen können. Doch offengestanden, erst nachdem ich diese Zeilen zweimal las; doch ich tue das nicht nur zweimal, denn ich werde nicht müde, Ih[re] Briefe immer und immer wieder zu lesen. Es ist mir dann, als ob ich nach all den Wirrnissen endlich einen ruhenden Pol gefunden habe. Sie üben eine sonderbare Wirkung auf mich aus. Alles ist so einfach, so wahr geschrieben, und doch hat jeder Satz einen tieferen Sinn; es geht eine Reinheit, eine Kraft von diesen Zeilen aus, und ich gehe dann mit neuer Zuversicht, mit einem Gefühl des Geborgenseins wieder an meine Aufgaben. Ich hege oft den Wunsch, mich in Probleme zu vertiefen, die nicht dem alltäglichen Leben entsprechen. Aber ich habe zu wenig Selbstvertrauen, ich fürchte Mißverständnisse und den Spott meiner Freundinnen. Kurz, es fehlt mir eine führende Hand.— Die Art, wie sich meine Freundinnen und so viele Mädchen meines Alters ihr Leben gestalten, mißfällt mir. Die meisten lieben den Taumel von einem Vergnügen zum andern — suchen einen gewissen Nutzen daraus zu ziehen und sinken dabei oft ganz unbewußt tiefer und tiefer. Ich finde das auch nicht im Geringsten eingebildet und hochnäsig, wenn man sich absondert von denen, weil man den Willen hat besser zu werden, sein Wissen zu bereichern nicht mit leeren, niederen Dingen; sondern mit Dingen die dazu erforderlich sind, [um] die gestellten Aufgaben restlos zu erfüllen, die uns das Leben bringt — um nicht zu versagen, wenn ein ernster Sturm uns anficht. Wenn man jung und gesund ist, gibt es ja nichts Schöneres als Lernen — die Welt mit all ihren Geheimnissen zu erforschen suchen.

Ich freue mich, daß wir uns einig wurden uns kennenzulernen, und doch mischt sich in diese Freude ein wenig Angst, daß ich nicht die Kraft habe, Ihnen eine wahre Kameradin zu werden.— Meine Ferien fallen diesmal auf Ende Juli; da mein Chef einen vorbildlichen Ausbau der Fabrik vornehmen läßt, so müssen wir unseren 10 tägigen Urlaub geschlossen antreten. Zum Pfingstfest habe ich nur drei Ferientage frei. Ich lege nun in Ihre Hände, wie Sie das Wiedersehen gestalten möchten und verbleibe mit den herzlichsten Grüßen

Ihre [Hilde Laube].

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Glückwunsch zu diesem spannenden Projekt! Ich werde weiterlesen, nicht, weil es als Liebesgeschichte beginnt (was für die Verbreitung sicher von Vorteil ist), sondern weil diese beiden Menschen schon in den ersten Briefen zeigen, dass sie über sich und das Leben nachdenken und daran wachsen möchten. Sie haben Werte verinnerlicht und setzen sich mit diesen auseinander. Sie nehmen sich Zeit zum Nachdenken und zum Erkennen. Das ist für heutige Begriffe ziemlich viel. Vielleicht sollte man in den Schulen mit den Kindern das Schreiben von Briefen üben …

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946