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Briefkorpus

Lichtenhain am 24. Mai 1938.

Liebes Fräulein [Laube]!

Im vorigen Brief schrieb ich — mußte ich schreiben — an mehreren Stellen das Wort Gott, und ich war nicht ohne Besorgnis, Sie möchten das nicht verstehen. Umsomehr [sic] macht es mich getrost und zuversichtlich zu wissen, daß Sie einen Zugang zu Gott haben.

Gott ist der letzte Trost, der den Menschen von der Verzweiflung bewahren kann.

Sie werden mich nicht für einen Frömmler halten. Das Wort Gott geht mir nicht leicht von den Lippen und ich überlege oft, ob ich ein Recht habe, es hier und da zu schreiben. Ich bin so beschaffen, daß ich nichts unbesehen hinnehmen kann, ich muß prüfen, untersuchen, mir ein eig[e]nes Urteil bilden — und so ist es mir auch mit Gott gegangen, und ich bin damit auch noch nicht fertig.

Ich glaube nicht, daß Gott jeden noch so törichten Schritt des Menschen überwacht. Der Mensch bewegt sich innerhalb bestimmter Grenzen nach seinem Willen. Freilich, schon wie er sich bewegt, und dazu alle wichtigen, entscheidenden Dinge des Lebens sind nicht in uns[e]rer Hand. Ich glaube, daß diese Welt nach einem göttlichen Gesetz und Plan läuft und daß wir Menschen in diesen Plan einbezogen sind.

Ich glaube nicht, daß Gott ein Ohr hat für die abertausend mehr oder minder törichten Anliegen der Menschen. Wenn wir ihn in unsrer Not anrufen, so kann dieses Gebet uns dennoch Kraft und Gewißheit bringen, so:

Gottes Plan und der Menschen Planen stehen einander gegenüber, laufen nebeneinander und oft genug auch einander zuwider. Gottes Wille ist stärker, und sein Plan wird ausgeführt. (Wohl dem Menschen, der seinen Willen mit dem Gottes in Einklang bringen könnte). Wenn wir uns nun in Not und Bedrängnis an Gott wenden, dann gestehen wir damit unsre Ohnmacht und Ratlosigkeit ein, wir müssen herunter von unserem Stolz, demütigend ist es, und dabei bricht unser Trotz, unser zäher Eigenwille — und nun sind wir wieder empfänglich für den Willen Gottes, empfinden wir wieder die feinen, unsichtbaren Zeichen seiner Führung. Jedes rechte Gebet mündet in die Bitte: Dein Wille geschehe!

Ein großer Tröster ist mir in der Musik allzeit getreulich zur Seite gestanden. Den Dank an die holdeste der Künste sehe ich am besten in einem Liede von Fr. Schubert zum Ausdruck gebracht, das ich leider nicht zur Hand habe. Den Text werde ich Ihnen ein andermal schreiben, das Lied Ihnen einmal singen, wenn es sein soll. Sie sind gut musikalisch, das habe ich beobachtet. Erhalten Sie sich die Freundschaft dieser Kunst auch dadurch, daß Sie — und sei es mir bescheiden — selbst musizieren, es hilft über manche leere und trübe Stunde hinweg.

Was führt Sie zu mir? So fragte ich mich und so fragte ich Sie und hielt Ihnen alle Zweifel vor, die man an der Liebe hegen kann. Wie konnten Sie zu mir halten, obwohl ich Ihnen kaum einen ermunternden Blick geschenkt, kaum ein ermutigendes Wort gesagt habe?

In Ihrer umschreibenden, unbestimmten Antwort liegt gewiß die Wahrheit.

Und nun frage ich mich:

Wie konnte es Ihnen gelingen, meine Zunge zu lösen, wie konnte ich Ihnen vertrauen?

Wenn ich darauf antworte und Sie dabei lobe, so wollen Sie darin nicht eine Schulmeisterei erblicken, die überall Zensuren erteilen muß, sondern meine freie, ehrliche Anerkennung. Ich möchte mit dieser Anerkennung nicht zurückhalten, um Ihnen das Gefühl des Bemitleidetseins zu nehmen und Sie stolz zu machen, worauf Sie stolz sein dürfen:

Ich konnte zu Ihnen sprechen

weil Sie so gütig waren,

weil Sie so tapfer waren,

und weil Sie verstanden haben, was nicht alle Menschen verstehen: Sich in Freiheit näherkommen.

Das habe ich mir früher schon vorgenommen:

In Sachen der Liebe will ich frei handeln, werde ich mir zunächst auch von den Eltern nicht hereinreden lassen — und werde ich nur verhandeln mit einem Menschen, der mir ebenso frei gegenübersteht, der nicht mit List mich umgarnen will, der nicht andere Personen — und seien es die Eltern — ins Spiel bringt, um mich vorschnell zu binden, nein — er muß mir näher treten wollen, um mit mir ernst zu prüfen, das heißt aber auch mutig dem Fall ins Auge gesehen, daß diese Prüfung den Wunsch vereitelt, dem sie entsprang.

Was Sie am Schlusse des letzten Briefes sagen, das kommt aus einem großen, edlen Herzen. Und so biete ich Ihnen freudig die Hand und sage, wie ich jede andere Bekanntschaft angeknüpft hätte:

Ich habe den Wunsch, Sie kennen zu lernen. Ganz können wir uns nicht mehr verlieren. Wir haben getauscht, was man nur mit wenig Menschen tauscht, und — das sage ich Ihnen dankbar,— ich habe mit Gewinn getauscht.

Seien Sie herzlich gegrüßt

von Ihrem [Roland Nordhoff].

Teilen Sie mir bitte mit, ob Ihre Ferien schon festliegen, damit ich bei meinen Vorschlägen diese Angabe schon mit berücksichtigen kann.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946