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Briefkorpus

Oberfrohna, am 20. Mai 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Es sind nun drei Tage vergangen, nachdem mich Ihre so lieben Zeilen erreichten. Lassen Sie mich Ihnen hierdurch meinen herzlichsten Dank sagen für das Vertrauen, das Sie mir schenken. Ich werde es zu schätzen wissen. Ich vergesse Ihnen niemals, daß Sie mir die Begriffe „Begehren und Liebe” in so wahren, eindringlichen Worten vor Augen hielten. Ich hab daraus ersehen, daß in vi[ele]n Dingen unsere Gedanken die gleichen Wege gehen. Ich fühle und denke so mancherlei, und doch vermag ich es oft nicht, in Worte zu kleiden. Vielleicht liegt es daran:

Ich bin als einziges Kind zu Hause aufgewachsen und habe nichts entbehren müssen von dem, was dazu gehört, um einen wahren, ordentlichen und strebsamen Menschen aus mir zu machen. (Hiermit möchte ich Sie auch gleichzeitig Ihres Zweifels entledigen — gewiß, ich entstamme einer vollkommen ehrbaren Familie). Doch meinem größten Wunsche mußte ich aus materiellen Gründen entsagen. Als ich die Hauswirtschaftliche Vollklasse verließ, wollte ich mich als Säuglingsschwester und vielleicht später als Kindergärtnerin ausbilden lassen. Meine Eltern besaßen nicht die Mitt[el] dazu und so bin ich, nachdem ich 1 Jahr im Haushalte meines jetzigen Chefs tätig war, mit in dessen Trikotagengeschäft übergetreten.

Mein Beruf befriedigt mich im großen und ganzen mäßig. Er hat den Vorteil, daß ich mir bei angemessener Arbeitszeit mehr schaffen konnte, als bei einer strengen Lehrzeit von 3 Jahren, die ich benötigt hätte, um Säuglingsschwester zu werden.— Ich habe mich nun damit abgefunden. Ich würde mich vielleicht nicht so unzufrieden und einsam fühlen, wenn ich das zu Hause fände, was ich unter einem harmonischen Familienleben verstehe. Was nützt mir alles Angenehm[e], was ich vielleicht den Mädels aus kinderreichen Familien voraus habe, wenn es an Harmonie, an ge[is]tiger Nahrung fehlt. Je älter ich werde, um so mehr sehe ich ein, daß Vater meiner Mutter und mir Unrecht tut. Er kennt nichts als seine Arbeit, Pflichterfüllung, sein leibliches Wohl und das Schlafengehen. Gewiß, ich sehe ein, er ist Schwerkriegsbeschädigter (am rechten Oberarm wurde ihm die [sic] Muskel zerschossen, nun ist die Hand gelähmt) und hat schwere Arbeit, sodaß er abends bestimmt abgespannt ist und gern zeitig schlafen geht. Aber deshalb darf er doch das Familienleben nicht vernachlässigen; meine Mutter leidet da gewiss darunter, sie trägt es nur still für sich. Mein Vater ist sonst der beste Mensch, nur wird er durch seine Arbeit so energielos und man kann direkt sagen stumpfsinnig. Glauben Sie mir Herr [Nordhoff], das alles legt sich auf den Charakter, auf das Gemüt. Wenn man sich [M]ühe gibt, um alles besser zu gestalten und sieht doch keinen bleibenden Erfolg; dann wird man kleinmütig und ist lieber still.

Doch die Sehnsucht nach einem Menschen, der mir alles sein kann, der mich versteht, der mich lehrt alles Gute und Schöne dieses Lebens zu ergründen und daß dann beide, wie Sie so schön ausdrückten, im festen Glauben an Gott, gemeinsam streben, e[chte]r und vollkommener zu werden; diese Sehnsucht stirbt nie in mir.—

Ich bin die Geschichte meiner Liebe durchgegangen. Es war im Spätsommer des Jahres 1936, als ich Ihnen das erste Mal vorgestellt wurde. Erinnern Sie sich an den Abendausgang der Kantorei nach Bräunsdorf, damals war Herr L. mit anwesend. Seitdem ist eine Wandlung in mir vorgegangen. Ich habe mich näher mit Ihnen beschäftigt — wurde Mitglied der Gesellschaft und ich konnte mir keine Singstunde mehr denken, ohne Ihre Anwesenheit. Wenn Sie fehlten, so waren das für mich die Abende ohne Seele und deren [sic] sind es in letzter Zeit so viele geworden. Doch ich sagte mir schon damals — eine Liebe zwischen uns kann nicht sein, weil ich im Gegensatze zu Ihnen ein armes Mädel bin; im finanziellen Sinne und au[ch] arm an Geist.

Ich habe Vergessen gesucht, habe Bekanntschaften geschlossen — wahllos —, Vergnügen besucht; wollte mit meiner manchmal übertriebenen Ausgelassenheit und Lustigkeit das dumme Herz beschwichtigen. Vergebens! Es ging eine Weile, dann kam der Ekel, die Besinnung und ich fühlte, meine Sehnsucht ward größer als zuvor.— Ich weiß nicht, war es Mitleid was mich immer wieder hinzog zu Ihnen. Wenn wir anderen lustig waren, konnten Sie oft dabeistehen mit einem Ausdruck in Ihrem Blick, der alles andere verriet als Fröhlichkeit. Ich fragte mich oft, trägt er irgendeinen heimlichen Kummer mit sich? Oder kann das Leben so arg enttäuschen, daß man nie mehr das rechte Vertrauen se[in]er Mitmenschen erringt? Ich habe gebetet für Sie, damals und jetzt, Gott möge einem reinen Menschenkinde die Kraft schenken, Sie zu verstehen, Sie recht glücklich zu machen.

Ich wusste, daß Ihnen ein anderes Mädchen viel bedeutete. Hätte ich die Gewißheit gehabt, daß sie die Rechte für Sie wäre, ich hätte mich selbstlos darein gefügt; denn ich will nicht wissen wie ich glücklich werde, ich will nur wissen, daß Sie glücklich sind.

Warten können und Geduld haben, erspart viel Herzeleid. Diese Worte, irgendwo habe ich sie mal gelesen, haben sich in mir eingeprägt. Es gab oft Gelegenheiten wo es mich drängte, Ihnen ein liebes Wort zu sagen; doch ich hatte kein Recht an Ihnen, ich mußte schweigen.

Wie mir zu Mut war, als ich Ihren Abschie[d] erfuhr, kann ich nicht ausdrücken. Ich schäme micht nicht zu sagen, daß ich geweint habe, als Herr Gründer Ihren Brief an die Kantorei Gesellschaft verlas. Es wurde mir zur Gewißheit, Gottes Wille kennt kein Warum.

Ich wollte tapfer sein, das Unvermeidliche tragen und doch mußte ich unterliegen.

Nun sagen Sie mir bitte, ob es in Ihrem Interesse liegt, daß wir uns näher kennenlernen, uns prüfen. Nur vertrauen Sie mir rückhaltlos an, wenn Sie einen anderen Menschen gefunden haben, dessen Besitz Ihnen wertvoller erscheint. Ich will nicht, daß es nur Mitleid ist, das Sie zu mir führt; sondern Ihr ehrlicher freier Wille.

Es grüßt Sie aufs herzlichste

Ihre [Hilde Laube].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946