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Briefkorpus

Lichtenhain am 16. Mai 1938.

Liebes Fräulein [Laube]!

Unser Briefwechsel ist an einem Punkte angelangt, über den hinaus er mit Gewinn nur geführt werden kann, wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst und voreinander sind, und diese Bedingung stellt mich vor die Entscheidung, ob ich zum ersten Male in meinem Leben mich einem Menschen anvertrauen soll in Dingen, die ich bisher ganz zu unterst in des Herzens Schrein für mich bewahrt habe. Ich glaube, daß Sie ein unverbogenes, ehrliches Menschenskind sind und erachte Sie meines Vertrauens für würdig.

Ich habe mir — ich danke es Gott — übers alle Bildung, über mancherlei Anfechtungen und Versuchungen hinweg einen kindlichen Glauben an eine reine Liebe bewahrt, ich möchte ohne die Sehnsucht nach einem echten Liebesglück nicht mehr leben. Und ich weiß jetzt: Meine Sprödigkeit, meine Zurückhaltung, meine kühle Höflichkeit — mancher mag sie abweisend und kränkend empfinden — sind ein Schutz dieses Glaubens, sind die Abwehr gegen die Häßlichkeiten und Zudringlichkeiten, die diesen Glauben zerstören wollen.

Wir leben in einer schweren Zeit. Trug und Schein verhüllen die Wahrheit, alle Menschen t[ra]gen irgendeine Maske, rohe Lust und Begierde spielen sich überall frech auf, und es ist ein Glück, eine Gnade, wenn man gerade und unverbogen bleibt, wenn man den Versuchungen nicht erliegt und sich den Glauben und die Sehnsucht nach dem Guten, Echten und Edlen herüberrettet. Ich sage das nicht mit Überheblichkeit. Nein, ich habe selbst erfahren, und bin gestrauchelt und bin doch gerettet. und [sic] danke es Gott. Nehmen Sie es nicht als Kränkung, sondern als Sorge um das Glück, wenn ich jetzt sage:

Prüfen Sie sich ehrlich, bitten Sie Gott, er möge Ihnen Gewißheit geben, ob reine Liebe es ist, die Sie bedrängt.

ο Vielleicht bin ich nur der Gegenstand eines heftigen Begehrens, drängt Sie Ihr junges Blut, die Phantasie macht mich zum Wunschbild Ihrer schlaflosen Nächte?

Liebe und Begehren.

Eine Liebe, die sich allein auf das Begehren gründet, auf die Lust, ist keine echte Liebe, sie hält eine Weile vor — und dann ist da die Leere und das Unglück. Die echte Liebe — sie ist ohne Begehren nicht zu denken — gründet sich auf die Harmonie der Seelen. Ich sehe den letzten und höchsten Sinn der Liebe und Ehe darin, daß sich zwei Seelen finden auf dem Wege zu Gott, daß sich zwei Menschen darum zusammentun, damit sie aneinander wachsen, daß sie miteinander streben, edler und vollkommener zu werden.

Diese Liebe ist selten wie das Glück.

Die Hoffnung darauf hat manchen schon zum Narren gemacht. Immerfort und überall hält man Ausschau nach diesem Glück.

Ob ich diese reine Liebe schon empfunden habe? Ja, ich war bisher dreimal so recht verliebt und weiß, es war echte Liebe. Ich habe mich nicht erklärt und habe meine Gefühle zurückgedrängt, weil ich noch studieren wollte und die Zeit noch nicht für gekommen hielt.

In meiner Oberfrohnaer Zeit?

Ich habe wohl begehrt, aber geliebt habe ich nicht. Wenn ich an das Verhältnis zu Ihnen denke:

Ich habe Sie anfangs kaum beachtet, ein anderes Mädchen stand im Vordergrund. Gegen Ende habe ich Sie begehrt. Ich besinne mich auf drei Gelegenheiten. Einmal nach der hitzigen Schneeballschlacht,— einmal, als Sie in Ihrem reizenden Kleide in der Kirche so verführerisch gegenübersaßen — und nach unserem nächtlichen Gespräch, in dem Sie so lieb sagten, daß Sie sich meiner Einsamkeit erbarmen wollten.

Sie sind mir in Erinnerung als ein herzhaftes aufrechtes Mädchen, von einem Mut, den ich bewundere, noch etwas wild, unbändig, schwärmerisch, eine tiefe Neigung hatte ich bei Ihnen nicht vermutet.

Die O.er Zeit war deshalb eine unglückliche Zeit, denn das Begehren macht nicht glücklich, es schmerzt. Man wird mißtrauisch gegen die eigenen Neigungen und Gefühle. Dieses Begehren macht auch schuldig, indem man Blicke verschenkt, in denen man mehr verspricht, als man dann halten könnte.

Nach dem Sonntag der Konfirmation fühlte ich mich unglücklich wie seit langem nicht, ich war so von Zweifeln geplagt, daß ich meine Hände faltete und Gott bat, er möchte mich klar sehen lassen und mich scheiden lehren das Echte vom [F]alschen.

ο Manche sehen in der Liebe eine Gelegenheit zum Abenteuer, einen Sport.

ο Andere erstreben einen Vorteil und nennen es Liebe.

ο Manche Menschen haben den Hang, sich selbst etwas vorzumachen heute und haben ihre Lust daran, heute zu Tode betrübt vor den Menschen einherzugehen und morgen überlaut mit ihrem Glück zu prahlen.

ο Junge Menschen haben den Hang, sich in einen Gedanken zu verbeißen, geraten in den Zwang einer Vorstellung: die und keine andre. Ich habe diesen Trotz an mir selbst erlebt. Das ist mein Glaube: Es ruht kein Segen auf dem, was wir ertrotzen. Alles Große und Wichtige und Entscheidende in unserem Leben ist nicht unsre Leistung, es ist Fügung und Gnade. Echte Liebe läßt sich nicht ertrotzen, sie muß sich fügen.

ο Als ich im Krankenhause lag, habe ich mich a[n] einem Tage, an dem ich mutlos und ohne Hoffnung war, umgesehen nach etwas Liebenswertem, und es erschien mir ein Mädchen, an das ich mich klammerte — der Name ist jetzt nebensächlich — und ich bildete mir ein, daß ich sie liebte. Als ich gesund war, war es mir klar, daß es ein Trugbild war.

Vielleicht befinden Sie sich in einer ähnlichen Lage, sind ohne Mut und Hoffnung, und klammern sich nun an mich.

Gehen Sie die Geschichte Ihrer Liebe durch, prüfen Sie ehrlich, bitten Sie Gott, er möge Ihnen Gewißheit geben. Können Sie dann noch sagen, daß Sie von Herzen lieben, denn echte Liebe ist Liebe von Herzen, dann könnte ich Sie in Ihrem Schmerz nicht stehen lassen, dann müßte ich Ihnen den Vorschlag unterbreiten: Wir wollen einander kennen lernen und uns prüfen in voller Freiheit.

Ihr Geständnis hat mich erschüttert und aufgewühlt. Es vergingen zwei Tage, ehe ich einen klaren Gedanken niederschreiben konnte. Ich habe Ihne Ihre Liebe nicht verschmäht, sondern ich habe sie nicht geahnt und beachtet.

Das ist, was mich diese Tage beschäftigt hat jede freie Minute, was ich mir hin und wieder überlegt habe, es ist nicht immer leicht in Worte zu fassen, und leicht kann man etwas mißverstehen.

So wollen Sie bitte mir die Zweifel zerstreuen, die Sie damit hervorrufen, daß Sie schreiben[:]

Es darf nicht (nicht) sein, denn ich bin Ihnen nicht ebenbürtig.

Wollten Sie damit nur sich selbst wehtun, oder ist Ihr Geschlecht erblich belastet, entstammen Sie nicht einer ehrbaren Familie?

Bitte schreiben Sie, wie Sie das meinen.

Seien Sie herzlich gegrüßt

von Ihrem [Roland Nordhoff].

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16.5.1938 Mit dem symbolischen ersten Spatenstich eröffnet Generalfeldmarschall Hermann Göring im Tal von Kaprun (Österreich) den Bau des Tauernkraftwerks.

Roland lässt in diesem Brief einen Vorhang fallen. Seine Zurückhaltung wird hier durch ein starkes Offenbarungsbedürfnis und sein Vertrauen zu Hilde ersetzt. Er zeigt sich als eine gefühlvolle Persönlichkeit, die sich nach dieser Vertrautheit sehnt. Roland bittet Hilde, sich darüber im Klaren zu werden, ob es sich bei ihr um die "reine Liebe" handelt, die er als "Harmonie der Seelen" und "selten wie das Glück" bezeichnet. Die Liebe sei nicht nur ein Sport, der sich auf Begehren gründet. Roland offenbart Hilde Intimitäten über seine früheren Erfahrungen mit der Liebe. Er macht dabei deutlich, dass diese seinen Erwartungen bisher nicht gerecht wurden. Roland vertraut Hilde in diesem Brief seine Definition und seine Erwartung von Liebe an. Er zeigt sich sensibel und verletzlich.

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946